TZ, 220812 „Modische Architekten“ Vom doppelten Holzweg zu den Schutzhütten

TZ, 220812 „Modische Architekten“

Vom doppelten Holzweg zu den Schutzhütten
Den ganzen heißen Sommer lang hat sich die langwierige und langweilige Diskussion über den Schutz der Schutzhütten entlanggequält. Und nun haben sich beide Parteien, ohne es zu merken, in einer Sackgasse im Hochgebirge so verstiegen, dass sie nicht mehr weiter können. Ein Kommentar von Oswald Zöggeler. 

Auf der einen Seite gibt es natürlich immer noch diejenigen, die glauben, wahre Tiroler zu sein. Sie sehen einfach nur ihre Tirolversion und werden leider nicht aussterben. Sie glauben, dass die Dolomiten und die anderen Berge hier Deutsch sprächen und dass in ihrem Innersten irgendwo nur deutsches Blut fließe. Diese Berge schauen auch unbedingt deutsch aus und sind ewig treu. Die „wahren Tiroler“ glauben auch, dass man nur mit historischen Imitationen der Lederhose ins Gebirge gehen könne, und um das Tirolertum zu beweisen,  müsse man sich so maskieren. Für den „wahren“ Tiroler muss ein Schutzhaus, damit es in die „wahre“ Tiroler Landschaft passt, wahrscheinlich so aussehen wie ein Bauernhaus, und das wahre und etwas moderne Bauernhaus sieht aus wie ein Schweizer Häuschen.

Das „typische Schweizer Haus“ passt nicht einmal in die Schweiz, denn es ist eine schlechte Kopie des Häuschens, das Walt Disney vor fast hundert Jahren für seine sieben amerikanischen Zwerge gezeichnet hat.

Es gibt viele, die Südtirol in ein Disneyland verwandeln möchten, sie sind eine wahrscheinlich glückliche Mehrheit und leben in ihrer Welt. Diese Leute sind zufrieden mit sich selbst und mit ihren Vorurteilen und werden sich nie ändern. Auf der anderen Seite sind jene, die glauben, moderne Architekten zu sein. Sie sind ebenso gefährlich. Sie glauben, von der Wahrheit über Architektur erleuchtet zu sein, und sind deshalb bereit zu kämpfen und, wenn es sein muss, sich für ihr Ideal  wie ein Märtyrer heroisch aufzuopfern.

Die große Versuchung für Architekten, die keine Zeit zum Nachdenken haben oder wenn ihnen nichts mehr einfällt, ist, mit der Mode mitzuschwimmen. Man glaubt, Mode sei „modern“, und das garantiere für aktuelle Architektur, ohne dass einem etwas einfallen müsse. Heute zum Beispiel gilt „schief“ als architektonisch „spannend“, und deshalb machen die meisten Architekten, die modern sein wollen, schiefe und schräge Architektur und wissen nicht genau, warum. Wenn heute in einem Architekturkommentar das Wort „spannend“ verwendet wird, handelt es sich meistens um abgeklatschte, langweilige Mode.

Die eigentliche Tradition des Schutzhauses ist recht jung, kaum älter als Walt Disney.  Zuerst baute man logischerweise einfach mit den Steinen, die dort oben schon lagen, und später, in den Zwanzigerjahren, als man modern und funktionell war, die Funktion allein verherrlichte und „Wohnmaschinen“ statt Häuser baute, wurden die Schutzhütten aus konstruktiven Gründen aus Holz oder leichteren Fertigteilen montiert und dann mit Blech verkleidet, weil man so eine Konstruktion nicht so einfach verputzen konnte und weil ein gutes Blech länger hält als ein schlechter Putz.

Der Hauptgrund dieser Blechschutzhütten war aber ein ganz anderer: Das Schutzhaus musste einen funktionellen und industriellen Charakter haben, denn so wollte man damals beweisen, modern zu sein.

Dieses heute  veraltete Modell der historischen Moderne gefällt den heute „modernen“ Architekten, und sie tun so, als hätten sie eine Erfindung gemacht, und eine schräge Ebene kann man immer leicht in ein Projekt einbauen.

In den Zwanzigerjahren war das Klettern noch etwas Einfaches, Ideales und Elitäres, für wenige, wirkliche  Abenteurer. Sie konnten auch in einer etwas provisorischen technologischen Unterkunft übernachten, es passte zum Pathos der Zeit.

Heute, in unseren Breitengraden, ist das Abenteuer etwas sehr Seltenes. Es wird vom Film beansprucht und gelangt von dort in unsere Köpfe; man bildet sich etwas ein, man glaubt daran und macht es sich vor, und man verhält sich, als ob es so wäre.

Auf der Skipiste, wenn es warm ist und einige im Bikini herumliegen, kommen Leute daher, die ausgerüstet und angezogen sind, als müssten sie in eine monatelange Expedition bei minus 60° C und machen das dazu entsprechende Gesicht. Die teuersten Jeans sind jene mit den meisten künstlichen Rissen, und stolz geht man damit durch die Stadt und tut so, als hätte man gerade ein wahnsinniges Abenteuer heroisch überstanden, wie jeder, der modern ist und etwas auf sich hält, mit seinem „fuori strada“ über ganz normale Straßen fährt. Er fährt in zerfetzter tropischer Kleidung  zum Hauptplatz seiner Stadt zum Aperitif und fühlt sich wie ein ganz toller Mensch. Auch wer sich nicht alleine in den Wald traut, möchte in der Stadt wie Rambo, der gerade hunderte von Bösen erschlagen hat, aussehen. Dafür züchtet man sich mit teuflischen Maschinen schwammige Körperformen, die aussehen wie Muskeln.

Auch die Architekten blieben von dieser Zeitkrankheit der Verkleidung und des Theaterspielens nicht verschont: Vor nicht allzu vielen Jahren kleideten sich meistens jene, die von Architektur besonders viel verstehen, ausschließlich in Schwarz und bewiesen somit sich selbst und der Welt, dass sie eben richtige Architekten waren. Es war irgendwie schamlos und peinlich zugleich.

Die Architektur hat immer einen Charakter und eine Aussage, sie spielt in jeder Umwelt eine Rolle wie ein Schauspieler, der in einem Theaterstück seine Rolle spielt und einen Charakter darstellt. Die Rolle, den Charakter, den die Architektur darstellen soll, muss der Architekt hineinplanen, und gerade das ist der Ursprung und der Grund der Architektur und ihrer Probleme. Hier muss der Architekt entscheiden, was die Architektur aussagen und in welcher Sprache sie sprechen soll; er muss zur Problematik, zum Ort, zur Funktion und zur Geschichte eine Stellung einnehmen; er muss sich zu einem Zeitgeist, zu einer Logik und zu einer Wahrheit bekennen. Falls er das nicht bewusst macht, entscheidet die Baufirma, der Zufall oder die Mode des Tages, was die Architektur darstellen und aussagen soll.

Mit den Scheinproblemen kann auch die „moderne“ Architektur recht gut leben. Sie zeigt zum Beispiel heute immer öfter, dass sie trotz  allen unheimlich bösen äußeren Kräften, Schwierigkeiten und Einflüssen, wenn auch schräg und schief-verbogen, stehen bleibt und sich behaupten kann; das beeindruckt uns natürlich sehr. Ganz bescheidene Gebäude mit banalen Funktionen werden verkleidet, damit sie gefährlich wie ein Panzer, ein Flugzeugträger oder wie ein Kampfjet aussehen.

Auf vollkommen ausgebauten Klettersteigen, wo es nunmehr fast unmöglich ist abzustürzen, wartet man in farbenfrohen und technologisch ausgerüsteten endlosen Kolonnen, jeweils ein paar Meter weiterzusteigen, und als passende Schutzhütte für diesen Massensport will man jetzt den pathetischen Ernst der technischen Hütten der Zwanzigerjahre nachbauen. Es gehört zu diesem Film, und die Form mit dem Aluminium-Sargprofil ermahnt an den tragischen  Ernst des Unternehmens.

In seiner Phantasie stellt sich der heutige „moderne“ Bergsteiger- Architekt vor, dass er nach unbeschreibbar schwierigen Klettertouren  nur wegen seiner außergewöhnlichen Kräfte und Fähigkeiten endlich nachts die schräge Blechschutzhütte erreicht hat, gerade als die Temperatur auf minus 60° C fiel und die Eisbrocken im Sturm durch die Luft schwirrten. Da war dieses schräge Blechhaus mit den winzigen Fenstern, wo man nicht hinaussieht, gerade das richtige, sich  schützen zu lassen und sich dort mit geschlossenen Augen zu verkriechen.

Die andere, ebenso wirkliche Situation der Schutzhütte ist, dass sie eigentlich niemanden schützen muss wie die Schützen und dass schon der Name falsch ist. Man kommt normalerweise mit Auto oder mit dem Sessellift bei 30° C mühelos hin, und was man hier oben sucht, ist nicht der Schutz, sondern die Aussicht.

Auch wer nach einem Tag im Fels verschwitzt und mit verhärteten und zerkratzten Händen abends in die Hütte kommt, wird es sicher schätzen, mit einem Bier in der Hand unter der warmen Dusche vor einer Glaswand die Aussicht zu genießen. Und sollte es einmal wirklich stürmen und schneien, und man ist eben dort, dann hat es noch weniger Sinn, nur Schutz zu suchen und sich zu verkriechen, denn so ein Naturspektakel wäre es bestimmt wert, dieses in einem Glashaus zu erleben.

Bruno Tauts Glaskristalle der „alpinen Architektur“ sind schon fast hundert Jahre alt und wurden nie gebaut und sind heute vergessen,  weil man  lieber Rambo spielt.

Mühelos und zufrieden lebt in seiner falschen Welt der wahre Tiroler und der wahre Architekt.

——

Zitate Oswald Zöggeler: Wenn heute in einem Architekturkommentar das Wort „spannend“ verwendet wird, handelt es sich meistens um abgeklatschte, langweilige Mode.

Es gibt Viele, die Südtirol in ein Disneyland verwandeln möchten. Diese Leute sind zufrieden mit sich selbst und mit ihren Vorurteilen und werden sich nie ändern. Auf der anderen Seite sind jene, die glauben, moderne Architekten zu sein. Sie sind ebenso gefährlich.

Heute zum Beispiel gilt „schief“ als architektonisch „spannend“, und deshalb machen die meisten Architekten, die modern sein wollen, schiefe und schräge Architektur und wissen nicht genau, warum.

Die geplante Schwarzensteinhütte: Die wirkliche Situation der Schutzhütte ist, dass sie eigentlich niemanden schützen muss, wie die Schützen, und dass schon der Name falsch ist.

Dieser Beitrag wurde unter Artikel abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.