Bau-Cocktail: Bauten im Eisacktal – Fehlende Sensibilität für ein strapaziertes Tal?

Baukulturseite Dolomiten, 8. Juni 2012

von Andreas Gottlieb Hempel

Das durch die drei Verkehrsadern Eisenbahn geplagte Tal ist nicht nur durch brutale Verkehrsbauten entstellt – gnadenlos wird landwirtschaftliches Grün verbaut und aufdringliche Bauwerke rücken sogar denkmalgeschützten Ensembles auf die Pelle. Dazu Lagerflächen für alles Mögliche – das Wort „Cocktail“ mit amerikanischem Akzent ausgesprochen, charakterisiert diese Bau(un)kultur. 

Entlang der Staatsstraße

Wer von Bozen zum Brenner aufbricht durchquert die größte Porphyrschlucht der Welt bei Blumau. Ein Großparkplatz für Camper und die Castrofresh-Gewerbekiste passen dort in die dramatische Landschaft wie die Faust aufs Auge. Das enge Tal bei Atzwang weiter flussaufwärts könnte mit seinem alten Postgasthof unter den Weinbergen so romantisch sein, wenn der Lärm der A22 mit Tankstelle und die lieblosen Baustellenlagerflächen mit Wohncontainern und der Zustand der eigentlich als Denkmal zu schützenden Bahnhofsruine von 1864 dem Reisenden nicht den Atem verschlagen würde. Später passiert man bei Schrammbach wohl eines der bekanntesten Fotomotive Südtirols: Das St.-Peter-Kirchlein inmitten zweier Bauernhöfe eng gedrängt auf einem Weinberghügel. Wunderschön! Was in den Prospekten aber nicht gezeigt wird ist die darunter liegende Container-, Supermarkt- und Gasthofwüste mit Riesenparkfläche für die 40-Tonner, deren Fahrer bei Rudi abgespeist und bei ,,Kult“ abgezockt werden. Schönheit und Hässlichkeit in unmittelbarer Nachbarschaft.

Das Brixner Becken

Nach dem engen unteren Eisacktal öffnet sich hinter Klausen das weite Brixner Becken. Doch zwischen den Weinbergen und über den Obstplantagen schwingt sich eine Erschließungsstraße zum Brixner Gewerbegebiet Süd auf Betonstützen am Eisackufer entlang, garniert mit einem dahinter liegenden Betonwerk und davor mit einem Schuttablageplatz für Aushubmaterial. Diese Hochstraße blockiert den ehemals so schönen Blick ins Tal. Dazu reckt eine Brücke ihren Abspannmast für die Tragseile aufdringlich in die Höhe. Sie wird noch kleinlaut werden, denn ein doppelt so hoher Abspannmast für eine künftige Brücke über die geplante Autobahnstation Brixen Süd wird ihr – quer dazu gestellt – den Rang an ingenieurtechnischer Wichtigtuerei im empfindlichen Landschaftsbild ablaufen. Statt die vorhandene Trägerbrücke flach weiter zu führen will hier die Planungsabteilung der A22 offenbar vorführen, was sie so kann und wie viel überflüssiges Geld sie hat. So etwas gehört in eine langweilige Ebene, wo es sonst nichts zu sehen gibt, aber nicht in die Berglandschaft des Eisacktals!

Am Eisack entlang

Nördlich von Brixen zweigt eine Straße nach Neustift ab. Als sich hier maßstablose Gewerbekisten ansiedelten, wurde das einst schmale Sträßchen verbreitert und direkt an das Eisackufer verlegt. Damit niemand in den Fluss fällt, begleitet ein massives Holzgeländer den Fußweg, der mit noch massiveren Leitplanken zur Fahrbahn abgesichert wurde. Dieser optischen Verschmutzung des Flussufers musste ein romantisches altes Bauernhaus weichen, das einfach vom Bagger zusammengeschoben wurde. Die Reste liegen nun dort seit einigen Jahren auf einem Haufen, gleichsam als Begrüßung vor dem Kloster Neustift. Aus dem restlichen Landwirtschaftlichen Grün der gegenüberliegenden Talseite grüßt ein chaotischer Mix aus Wohnhäusern – gleichsam eine Baumusterschau und ein deutlicher Unfähigkeitsbeweis der zuständigen Baukommission bei der Beurteilung von städtebaulichen Zusammenhängen in dieser empfindlichen Landschaft.

Um das Kloster Neustift

befinden sich die nördlichen Weinberge Italiens. Hier entstehen frische, elegante, fruchtig-mineralische Weißweine, die sehr begehrt sind und in den letzten Jahren höchste Auszeichnungen erhielten. Höchste Zeit also, diese Weinberge zuzubauen. So ist direkt über der schönen Dachlandschaft des 1142 gegründeten Klosters Neustift ein präpotentes Angeberhaus entstanden, zu dem mich während meiner Führungen durch die Weinberge und den Stiftskeller die Gäste entsetzt fragen, wer denn so etwas genehmigt. Darauf kann die Antwort nur lauten, dass die derzeitigen Genehmigungsverfahren nicht nur die wirtschaftlich Stärkeren begünstigen, sondern offenbar auch die Denkmalpflege und den Landschaftsschutz übergehen und die überwiegend von Laien besetzten Baukommissionen total überfordern.

Was nützt es denn, wenn dort hinterher eingestanden wird, dass man sich das so nicht vorgestellt habe? Dieses Privathaus ist ein brutaler Schandfleck über der ehrwürdigen Klosteranlage, assistiert von weiteren Bauten ähnlicher Bau(un)kultur in unmittelbarer Nähe. Dieser Umgang mit einer der bedeutendsten historischen Anlagen Südtirols ist ein Trauerspiel!

Baukultur mit Ziegeln

Neben Holz ist wohl Ziegel das älteste Baumaterial der Menschheit. Und immer noch das Beste. Ein handgerechtes Modul aus dem ganze Städte entstanden sind, universell verwendbar, alterungsbeständig und ressourcensparend in der Herstellung und ästhetisch auch als Sichtmauerwerk – besonders mit Patina. Große Architektur und Alltagsbauten werden gleichermaßen durch dieses Material veredelt und strahlen dauerhafte Solidität aus. Anders als bei Beton ist der Ziegel optisch und haptisch angenehm und lässt sich auch nach dem Abbruch wieder verwenden. Die österreichische Wienerberger AG ist mit 230 Werken in 30 Länden und mit rund 12.000 Mitarbeitern weltweit der größte Ziegelhersteller. Unter dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Heimo Scheuch fühlt sich die Wienerberger AG guter und innovativer Architektur mit Ziegeln verpflichtet, deren Ästhetik auch mit den Jahren nicht verblasst und lobt deshalb seit 2004 alle zwei Jahre den Brick Award aus. Die Projekte werden von internationalen Architekturkritikern und – Journalisten ausgesucht und eingereicht. 2012 waren es 50 Projekte aus 28 Ländern, aus denen fünf Juroren aus fünf Ländern ebenfalls fünf Projekte zur Prämierung auswählten. Gesamtsieger wurde Peter Rich, Südafrika, mit dem Museum Mapungubwe. Gleichrangig wurden das schottische Architekturbüro NORD mit dem Umspannwerk der Olympischen Spiele 2012 in London, der belgische Architekt Bart Lens mit dem Projekt der Sanierung eines Bauernhauses , die Lissabonner Architekten Francisco und Manuel Aires Mateus mit einer Seniorenresidenz und der slowakische Architekt Pavol Panak mit seinem Architekturbüro in einem ehemaligen Ziegelbrennofen prämiert. Alle 50 eingereichten Arbeiten sind in dem gut gemachten Band des Callwey Verlages mit Fotos und Plänen sowie Beschreibungen der jeweils eingereichten Architekturkritiker sorgfältig dargestellt- ergänzt durch Texte zum Wettbewerb, über das Bauen mit Ziegeln und das Brick + Magazin. Leider findet sich kein Südtiroler Projekt darunter!

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