Ulrich Ladurner: Der Markt als Religonsersatz

Katholisches Sonntagsblatt, 22/2012

Je freier der Markt, desto besser für uns alle. So lautet ein Standardsatz der Marktliberalen. Wenn der Markt – sagen sie – einmal aller Fesseln entledigt ist, kann er seine volle Kraft zu unserem Wohl entfalten. Befreit also den Markt! Wir werden alle mehr Arbeit haben und wohlhabender sein.

Zu wenig Regeln

Das ist nachweislich falsch. Die Bankenkrise aus dem Jahr 2008, welche die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruches gebracht hat, ist nur der letzte Beweis dafür. Diese Krise war das Ergebnis von zu wenigen und nicht von zu vielen Regeln. Niemand kontrollierte die Finanzjongleure. Niemand wollte und sollte das tun, denn wir leben in den Zeiten des Marktliberalismus. Der Staat hat sich aus dem Finanzmarkt weitestgehend zurückgezogen, mit katastrophalen Folgen. Sehr, sehr wenige verdienten daran sehr gut. Die Masse der Menschen erlitt großen Schaden.

Doch die Kritik an den marktliberalen ist noch viel fundamentaler zu führen. Sie nämlich tun so, als gäbe es so etwas wie einen freien Markt. Das wäre gewissermaßen eine Art kapitalistisches Paradies, das von Leuten aus politischem Interesse kaputt gemacht wird. Politik erscheint geradezu als der Gegensatz zum Markt, als sein Erzfeind. Während der Markt seinerseits als eine allgemeingültige Wahrheit dargestellt wird. Wer für die Befreiung des Marktes kämpft, der dient einer höheren Sache. Er besitzt auch ein höheres Wissen. Die oft zur Schau gestellte Arroganz der Marktgläubigen rührt daher. es ist kein Zufall, dass wir vom Markt als einen Ersatz für Religion sprechen. Ihm zu dienen wird zu einem religiösen Akt stilisiert. Damit wird er unangreifbar gemacht.

Das ist pure Ideologie. Denn den freien Markt gibt es nicht. Es hat ihn nie gegeben. Jeder Markt, egal in welchem Teil der Welt, egal zu welchen Zeiten, unterliegt Regeln. Wir bemerken es nur nicht, weil diese Regeln allgemein akzeptiert sind. Was wir für gegeben annehmen, das sehen wir nicht mehr. Ob Handel, Industrie, Handwerk oder Landwirtschaft – alle Bereiche der Wirtschaft halten sich an Vorschriften und Gesetze. Das Entscheidende ist an dieser Stelle nicht, ob das gut oder schlecht ist. Das Entscheidende ist: Regeln sind Ausdruck eines Interesses, das sich durchgesetzt hat. Wenn zum Beispiel eine Fabrik Umweltauflagen beachten muss, dann ist das ein Ausdruck des Willens der Öffentlichkeit, die Umwelt zu schonen.

Der Markt ist nicht frei

Oder ein anderes Beispiel: Wir glauben, dass bestimmte Dinge nicht käuflich sein dürfen, Wählerstimmen etwa oder Gerichtsurteile. Das war im Lauf der Geschichte nicht immer sol Aber wir sind zu der Auffassung gekommen, dass es ein Fortschritt ist, wenn beides nicht zu kaufen ist. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Der Markt ist also nicht frei – zum Glück muss man hinzufügen. Der Markt ist vielmehr ein Ort, an dem sich politische Interessen abbilden. Auch wer sagt, er wolle den Markt von allen Fesseln befreien, vertritt nicht eine objektive Sache, sondern ein politisches Interesse, das er gerne durchsetzen möchte. Wenn also jemand “Befreit den Markt!” ruft – dann ist Vorsicht geboten.

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