ff 11/2012: Hinter den Kulissen der Glücksindustrie

Der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner zeigt in seinen Bildern, was der moderne Tourismus Natur und Menschen zumutet. Dabei sucht er ungewöhnliche Orte auf. Im renommierten Steidl-Verlag ist sein neues Buch mit Bildern erschienen, die den schönen Schein entlarven.

Der Fotograf Lois Hechenblaikner weiß, wie ein Gastbetrieb funktioniert, er ist ein Experte für den modernen Tourismus, er treibt einen großen Aufwand, um zu seinen Bildern zu kommen (so beobachtet er etwa regelmäßig das „Spatzenfest“ in Kastelruth).
Sein Blick ist geschärft, denn er hat in den vergangenen Jahren unermüdlich mit seiner Großbildkamera untersucht, wie der Tourismus die Landschaft – und mit ihr die Menschen – verändert. Noch mehr, er kann fotografisch belegen, dass der Tourismus eine Industrie ist, die serienmäßig Waren und Dienstleistungen anbietet. Es ist eine Industrie, der der Profit jegliche Individualität ausgetrieben hat, die Menschen sind programmiert wie ein Automat, wie eine Maschine, die am Fließband Standard-Lächeln und Standard-Freundlichkeit produziert. In dieser Maschinerie gibt es keinen Höhepunkt, weil es immer noch höher, weiter und schneller gehen muss.

Hechenblaikner war mit seiner Kamera dabei bei diesen besonderen Olympischen Spielen, die jedes Jahr neu beginnen, mit neuen Events, neuen Hotels, neuen Pisten und neuen Aufstiegsanlagen. Man sieht an seinen Bildern, was das heißt, an den Aufnahmen vom Gletscher, wo man verzweifelt versucht, den Schnee mit Plastikplanen vor dem Schmelzen zu retten, mit den Lawinenverbauungen, mit denen man Menschen zu schützen versucht, mit dem Band aus Kunstschnee, das sich durch eine grüne Landschaft schlängelt. Lois Hechenblaikner hat den Irrsinn vor der Haustür liegen.

Für seinen neuen Fotoband „Winter Wonderland“ (Steidl 2012, 38 Euro) hat sich Lois Hechenblaikner (54, er lebt im Alpbachtal) immer wieder in die Berge begeben, in das Herz des Massentourismus, nach Ischgl, nach Sölden oder ins Zillertal. Doch das Auffälligste hat er etwa nicht entdeckt, wenn auf dem Rettenbachferner im Ötztal die Pistenraupen zum Musical „Hannibal“ tanzen, in Ischgl nach einem Popkonzert Flaschen ein unregelmäßiges Muster auf dem weißen Schnee bilden, oder auf dem Zillertaler Gletscher eine Dampflok auffährt, die man mühsam ins Hochgebirge geschafft hat. Auch das sind die Zeichen dafür, dass Natur und Menschen als „Erlebnismaschine“ begriffen werden, wie der Soziologe Gerhard Schulze im Buch schreibt, doch das Eigentliche liegt unter der Erde, in den Maschinenräumen der Gastwirtschaften, die ausschauen wie die OP-Säle in einem modernen Krankenhaus.

Während andere auf der Vorderseite warten, bis etwas passiert (es passiert ja meistens eh nichts über das Erwartbare, Bekannte hinaus), wartet Hechenblaikner geduldig, bis das Fest zu Ende ist, oder er begibt sich gleich auf die Hinterbühne. Er ist dabei, aber er gehört nicht dazu, er ist beteiligt, aber nicht Teil des Spiels. Wer ihn kennt, weiß, was für ein Zorn ihn über die Vernutzung der Alpen befallen kann, doch der Zorn ist aus seinen Bildern ganz herausgefiltert. Das macht sie nur umso eindrücklicher, sprechender. Sieht man diese Bilder, kann man nicht mehr verdrängen, was offensichtlich ist.

Hechenblaikner begibt sich also unter die Erde, in die sterilen Kellerräume, wo Alkohol wie Blut durch Plastikschläuche fließt – ganz so, als sei oben ein Kranker an die Schläuche angeschlossen. „Romantikhütte“ steht auf einem Verteilerkasten, zu dem mehrere Schläuche führen. „Jagatee“ steht auf der einen Leitung, „Glühwein“ auf der anderen. Auf einem anderen Bild hat jemand neben den Schlauch mit der Hand hinzugefügt: „Schnaps“. „An den Pools der All-Inclusive-Zonen, im Autobahnstau, im Internet oder Hochgebirge“, schreibt Gerhard Schulze, „überall stößt man auf die Konstruktionen ratloser Omnipotenz, auf Genies des Rechnens und Idioten des Verstehens, auf emsige Konstrukteure. Profiteure und Animateure, die eine Profession und ein Geschäft daraus machen, Dienstleistungen für Touristen der Glückssuche anzubieten.“

Hechenblaikner macht es sich nicht leicht, er bereitet seine Aufnahmen genau vor, er sucht hartnäckig den Weg hinter den schönen Schein, er weiß, dass er damit Zorn auf sich zieht. Denn in seinen Aufnahmen ist die Puppe, die auf Knopfdruck den Mantel öffnet, keine Gaudi mehr, sondern lächerlich. Er zieht in seinen Bildern die Plane weg, die die Zurichtungen verhüllt, denen Mensch und Landschaft in den Alpen ausgesetzt sind.

Georg Mair

http://www.ff-online.com/

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