Laimer, Rainer: „Der SEL-Ausgeher nahm die Akten mit“

TZ, Samstag/Sonntag, 18./19. Februar 2012

Die Ermittlungen haben ein klares Bild ergeben. Die SEL bediente sich im Büro Laimer wie in einem Selbstbedienungsladen. Vor allem aber hat Maximilian Rainer alle wichtigen Dokumente, Gesetze, Pläne und Verträge im Energiebereich vorab eingesehen, verändert und abgesegnet. Die Chronik eines vermeintlichen Amtsmissbrauchs.

von Christoph FranceschiniEr war eine Art Gag. Immer wieder wurde Maximilian Rainer mit dieser Bezeichnung angeredet: „Schattenassessor“. Der SEL-Direktor kokettierte durchaus auch einmal selbst damit. Vor allem aber gab Maximilian Rainer nicht nur ungeliebten Konkurrenten gern zu verstehen, dass er in der Südtiroler Strompolitik mehr bewegen oder blockieren könne als jeder andere.

Es ist kein Gag.  Das Bild, das sich den Ermittlern bisher bietet, spottet allen Vorstellungen Hohn. Denn in den aufgetauchten Dokumenten und dem Schriftverkehr zwischen Maximilian Rainer und Michl Laimer wird klar, wer der eigentliche Assessor im Energiebereich war. Aus dem Schattenassessor wird damit eine zentrale Figur, die alle Weichenstellungen in der Südtiroler Energiepolitik nicht nur begleitet, sondern maßgeblich mitbestimmt hat.

Die Ermittler der Carabinierisondereinheit ROS haben schon vor Monaten die Computer und Handys von Maximilian Rainer und Michl Laimer beschlagnahmt. Dazu noch den Server der SEL AG. Ein Teil der Auswertung des Mail- und Datenverkehrs ist jetzt in den Abschlussbericht eingeflossen, den Oberstaatsanwalt Guido Rispoli am Donnerstag offiziell hinterlegt hat. Bisher haben die ROS-Analysten den Datenverkehr bis in Jahr 2007 zurück ausgewertet. Dabei wird klar, dass sich in Laimers Energieressort kein Blatt bewegt hat, das von Maximilian Rainer nicht vorab abgesegnet worden war. Es war der SEL-Direktor, der die politischen und rechtlichen Vorgaben für Laimers Politik gab. Bis ins letzte Detail.

Zeitweise gingen an einem Tag rund 20 Mails oder SMS  zwischen dem Landesrat und dem SEL-Direktor hin und her. So haben die Ermittler mehrere Beispiele gefunden, in denen Maximilian Rainer neue Landesgesetze oder Bestimmungen Artikel für Artikel vorab begutachtet und umgeschrieben hat. Als dann später etwa im Landtag Änderungen eingebaut wurden oder unerwartete Problem auftauchten, schaltete der SVP-Landesrat wieder den SEL-Direktor ein. Rainer lieferte telematisch die für seinen Betrieb wichtigen Korrekturen umgehend nach. So wurde Politik direkt vom Schreibtisch der SEL-Direktion aus gemacht.

Wie weit das Ganze ging, zeigen andere Beispiele. So hat Maximi­lian Rainer vor jedem Landtagsabgeordneten und auch vor den Mitgliedern der Landesregierung etwa den Wassernutzungsplan begutachtet und nach seinem Gutdünken Änderungen angebracht. Auch bei diversen Umweltplänen war das der Fall. Die Ermittler haben über ein halbes Dutzend Fälle genau dokumentiert. Fast schon komisch war vielen solcher Mails aus dem Laimer-Assessorat der Warnvermerk „Vertraulich“ oder „Streng vertraulich“ vorangestellt.

Die Ermittler haben zudem auch Beweise gefunden, dass Maximi­lian Rainer sogar Landesregierungsbeschlüsse für Michl Laimer geschrieben und vorbereitet hat, die dann auch so verabschiedet wurden.

Lückenlos dokumentiert ist das Zustandekommen des entscheidenden Landesregierungsbeschlusses vom 30. Dezember 2009, mit dem man die Konzession für das Kraftwerk „St. Anton“ nicht dem eigentlichen Wettbewerbssieger der Eisackwerke GmbH gab, sondern der SEL AG. Am 28. Dezember 2009 verfasste Maximilian Rainer ein Argumentarium, mit dem begründet wurde, warum das SEL-Projekt das beste sei. Rainer übergab das Schriftstück an Laimer. Diese Punkte fanden dann genauso wortwörtlich zwei Tage später Eingang in den Beschluss der Landesregierung. Sie waren die Begründung für die Entscheidung.

„Wer diese Punkte geschrieben hat, muss unseren Bewertungsbericht in der Hand gehabt haben“, sagt Cinzia Flaim, Direktorin der für die Konzessionsvergabe zuständigen Abteilung Wasser und Energie bei der Befragung durch die Ermittler aus. Alle zuständigen Beamten bestätigten vor dem Staatsanwalt, dass der Bewertungsbericht bis zur endgültigen Konzessionsvergabe absolut geheim sei. Vor allem für die Bewerber nicht einsehbar.

Doch die ROS-Beamten haben auch zwei Rechtsgutachten des Landesrechtsamtes vom Sommer und Herbst 2009 genau zu dieser Frage ausgegraben. In beiden wird eindeutig bestätigt, dass der Bewertungsbericht streng vertraulich und für die Bewerber nicht einsehbar sei.

Strafrechtlich von Belang wird deshalb die Frage, wie die SEL AG im Dezember 2009 zu dem geheimen Bewertungsbericht des Amtes für Stromversorgung gekommen sei. Sowohl Michl Laimer wie auch Maximilian Rainer haben in ihren Verhören vor Oberstaatsanwalt Guido Rispoli zu diesem Punkt nicht Stellung bezogen.

In den Verhören sind jetzt aber Elemente aufgetaucht, die auch diesen Punkt klären. So haben mehrere Beamte ausgesagt, dass sich die SEL AG im Büro des Landesrates mehr oder weniger wie im Selbstbedienungsladen aufgeführt habe. Laimers ehemalige persönliche Sekretärin bestätigte bei der Anhörung den Ermittlern eine haarsträubende Praxis. „In den entscheidenden Wochen der Konzessionsvergabe kam der Ausgeher der SEL AG in unser Büro und nahm die Akten des Amtes für Stromversorgung einfach mit“, erklärte die Beamtin. Nach einigen Tagen hätte der Mann die Ordner dann wieder zurückgebracht.

Damit dürfte auch geklärt sein, wie der Abschlussbericht zur Vergabe des Kraftwerks „St. Anton“ zur SEL AG kam. Und alle weiteren amtlich geheimen Unterlagen.

Oberstaatsanwalt Guido Rispoli hat jetzt einen neuen Ermittlungsstrang aufgetan. Nach dem Gesetz muss zwischen Land und dem Konzessionär ein Vertrag unterzeichnet werden. Es sind die so genannten Auflagenhefte, in denen alle Rechte und Pflichten des Kraftwerk-Betreibers enthalten sind. Diese Auflagenhefte wurden vom zuständigen Amt für Stromversorgung für sechs Kraftwerke der SE Hydropower im Frühjahr 2011 ausgearbeitet. Nachdem die Hefte vom Amt Michl Laimer übermittelt wurden, übergab sie dieser per Stick an Maximilian Rainer. Der SEL-Direktor überarbeitet die Auflagenhefte nachhaltig. „Zum eindeutigen Nutzen seines Unternehmens und zum Schaden des Landes und der Allgemeinheit“, schreibt Rispoli in der Mitteilung zum Abschluss der Ermittlungen.

So war ursprünglich vorgegeben, dass der Konzessionär die vorgegebene Potenzierung der Kraftwerke innerhalb von fünf Jahren machen müsse. Am Ende stehen aber zwölf Jahre in den Auflagenheften. Vor allem die Sicherheitsbestimmungen und teuren Druckproben hat der SEL-Direktor aus den Auflagenheften gestrichen. Wobei man hier sagen muss, dass dieser Bereich europaweit Neuland ist und selbst Experten über mögliche Bestimmungen uneins sind.

Tatsache ist, dass die Landesregierung bei der Sitzung vom 20. Juni 2011 die Auflagenhefte so genehmigt hat, wie sie Maximilian Rainer vorgegeben hat. Ohne den Großteil der Sicherheitsbestimmungen. Obwohl das zuständige Amt mehrmals schriftlich und mündlich darauf hingewiesen hat, dass das so nicht rechtens ist.

Nachdem die ROS-Beamten vor Monaten das gesamte Material beschlagnahmt haben, hat man inzwischen gegengesteuert. Da das ers­te Auflagenheft für das Kraftwerk Kardaun erst 2012 unterschrieben wurde, hat man einen Teil der Sicherheitsbestimmungen im allerletzten Moment wieder aufgenommen.

Trotzdem geht die Staatsanwaltschaft hier von einem Amtsmissbrauch und einer Ungleichbehandlung aus. „Es kann doch nicht sein, dass einige Konzessionäre die Auflagenhefte ohne Wenn und Aber unterschreiben müssen und die SEL herumdoktern kann, wie sie will“, sagt ein Ermittler.

Wie weit die Zusammenarbeit des Duos Laimer-Rainer ging, zeigt ein anderes Detail. Am 16. November 2009 vergab die Landesregierung die Konzession für das Kraftwerk Mühlbach an die Eisackwerke GmbH. Am 24. November 2009 schreibt Michl Laimer einen langen Brief an die Führungsspitze des Amtes für Stromversorgung. Das Schreiben ist eine einzige Anklage. „Mit Verwunderung habe ich aus den Akten ersehen, dass es eine sonderbare Vorgangsweise gegenüber den Eisackwerken gegeben hat“, schreibt Laimer. Der Landesrat insinuiert offen, dass die gemachte Bewertung falsch sei. „Die Bewertung ist für mich nicht nachvollziehbar“, so Laimer.

Mit dem Brief, der ebenfalls aus der Feder von Maximilian Rainer stammen dürfte, macht Michl Laimer mächtig Druck auf die zuständigen Beamten, mit dem klaren Ziel, dass sie die Entscheidung nochmals zugunsten der SEL AG überdenken sollten. Laimer fordert eine Antwort innerhalb einer Woche.

Am 14. Dezember 2009 schreiben Abteilungsdirektorin Cinzia Flaim und Amtsdirektor Hans Unterholzner zurück. In der fünfseitigen Stellungnahme werden die Unterstellungen zurückgewiesen, alle Gegenargumente demontiert, und die beiden zuständigen Landesbeamten bekräftigen nochmals ihre technische Entscheidung.

Die SEL AG rekurriert wenig später gegen diesen Beschluss der Landesregierung zur Konzessionsvergabe von Mühlbach. Dabei muss die Landesenergiegesellschaft nicht nur gegen die Eisackwerke GmbH klagen, sondern auch gegen das Land.

Die ROS-Analysten haben aus den Servern jetzt einen konsistenten Mail-Verkehr zwischen Michl Laimer und Maximilian Rainer rekons­truiert. So ging der Rekurs, bevor er eingereicht wurde, mehrmals zwischen Laimer und Rainer hin und her. Es dürfte wohl einmalig für einen Gerichtsfall sein, dass sich Kläger und Beklagter vorab absprechen.

Dazu passt auch, wie es in diesem Gerichtsfall, der noch behängt, weitergegangen ist. Das Land hat sich bis heute in den Prozess einfach nicht eingelassen. Der zuständige Richter vor dem römischen Wassermagistrat soll sich darüber bei der ersten Verhandlung mehr als gewundert haben: „Wie, sonst ist das Land Südtirol immer sofort zur Stelle?“.

„Extrem schwerwiegend“

Oberstaatsanwalt Guido Rispoli hat vor, im März Anklage gegen Michl Laimer und Maximilian Rainer zu erheben.

von Thomas Vikoler

Eine Mitteilung über den Abschluss von Ermittlungen ist rein formell keine Anklage. Die vierseitige Mitteilung nach Artikel 415 der Strafprozessordnung, den Landesrat Michl Laimer und (Ex)SEL-Direktor Maximilian Rainer am Donnerstag zugestellt bekamen, liest sich aber wie eine solche. Die Strafbestände: versuchte Erpressung, Verletzung von Amtsgeheimnissen, Wettbewerbsverzerrung und – zuletzt hinzugekommen – Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit der Einwirkung auf die Dienstverträge für sechs SE-Hydropower-Kraftwerkskonzessionen.

Oberstaatsanwalt Guido Rispoli spricht von „extrem schwerwiegenden Vorwürfen“, aus denen die Beschuldigten „schwer herauskommen“ würden. Versuchen werden sie es, und das innerhalb der nächsten 20 Tage, der Frist für die Vorlage von entlastendem Material: Laimers Anwalt Gerhard Brandstätter und Carlo Bertacchi, Verteidiger Rainers, wollen auch Verhöre für ihre Mandanten beantragen.

Rispoli geht aber davon aus, dass die Phase des „gerechten Prozesses“, in der die Verteidigung am Zug ist, nicht allzu lange dauern werde. Spätestens innerhalb März will der Oberstaatsanwalt Anklage erheben, auch weil er davon ausgeht, dass sich ein Großteil der Beweislast nicht mit Dokumenten und Verhöraussagen entkräften lässt. Zu eindeutig seien die Handlungen der beiden Beschuldigten dokumentiert, u. a. durch umfangreichen E-Mail-Verkehr.

„Die SEL hatte beim Land gegenüber anderen Bewerbern eindeutig eine Vorzugsspur, sie wurde geführt wie eine Abteilung der Landesverwaltung“, nennt Rispoli das Grundproblem des Falles. Indem SEL-Techniker die vom Amt für Elektrifizierung vorgegebenen Sicherheitsklauseln zugunsten der SE Hydropower abänderten, hätten sie potentiell Risiken für die öffentliche Sicherheit in Kauf genommen. Das sei, so Rispoli, alles andere als „theresianische Verwaltung“.

 

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