Das ganze Land in wessen Hand? Leitartikel in ff, vom 24.November 2011

von Norbert Dall‘ O´

Das ganze Land in wessen Hand?

Die SVP trommelt für die ,, Vollautonomie „. Gute Idee, aber: Zunächst bedarf es einer kritischen Bestandsaufnahme der Selbstverwaltung. Die immer mehr zu einem Selbstbedienungsladen geworden ist.

Silvius Magnago hatte es geahnt: die größte Gefahr für Land und Leute geht nicht von der Assimilierung aus, sondern vom Reichtum und von der Gier. Um es in Abwandlung des Fassbinder – Films auf den Punkt zu bringen: Geld frisst Seele auf.
Dieser Tage hat die SVP ganz Südtirol mit Plakaten zugekleistert. Titel der Themenabende, in denen für die ,,Vollautonomie “ die Trommel gerührt wird:,, Das ganze Land in deiner Hand.“
Die Weiterentwicklung der Autonomie – ein wichtiges Thema.

Das Verslein – das ganze Land in deiner Hand – schlägt freilich auch den klassischen Steilpass für die Gegenfrage, die sich in Zeiten wie diesen aufdrängt: In wessen Hand ist das ganze Land? In meiner, in unserer – oder in der Hand gewisser Leute?
Magnago muss es geahnt haben. Er hat sie ja neben sich aufwachsen gesehen, die Funktionäre und Mandatare, die Ende der Achzigerjahre plötzlich in der SVP auftauchten und neben dem Kopf vermehrt die Ellebogen einsetzten. Kein Wunder: Südtirol war tatsächlich viel zu lange vom Volkssumpf gelähmt; jeder Beschluss, jede Entscheidung, jede Chance, die sich bot, war immer penibelst auf ihre ethnopolitische Konsequenzen abgeklopft worden. Silvius Magnago und Alfons Benedikter wurden zu Graslhütern eines Status Quo, aus dem es kein Entkommen zu geben schien. Die Volksgruppe war geschützt, das Land und seine Menschen stöhnten.

Dann kam Durnwalder, riss die Fenster auf – und sorgte für jene Frischluft, auf die alle so sehnsüchtigst gewartet hatten. Durnwalder beendete den ethnischen Ausnahmezustand und sorgte für sozusagen normale Verhältnisse. Die Südtiroler interessierten sich nicht mehr für Dornenkronen und ethnisches Geplänkel, sondern für Handfestes. Wir lernten rasch: Auch eine Minderheit ist gut im Geschäftemachen.

Durnwalder & Co. hätten gewarnt sein müssen. Haben sie nicht gesehen, was in Bayern abging, wo aus der stolzen CSU zuerst eine Amigo – Partei, dann eine Lachnummer wurde? Der Vergleich CSU -SVP, den der Politologe Günther Pallaver in diesem Heft anstellte, offenbart frappierende, erschreckliche Ähnlichkeiten.
Wie der Sel – Skandal zeigt, haben unsere regierenden Politiker weder vom Schmiergeldsumpf in Italien noch von der unseligen Kumpanei in München gelernt. Schlimm an diesem ganz und gar hausgemachten Skandal ist nicht nur, dass da Leute ertappt worden sind, die – wie die Staatsanwaltschaft vermutet – neben ihrem öffentlichen Auftrag auch in den eigenen Sack gewirtschaftet haben. Noch schlimmer ist, wie sie zu ihren Jobs gekommen sind: nicht weil sie fachlich gut sind, sondern weil sie gut Freund von diesem oder jenem Politiker sind.

Das ganze Land in meiner Hand? Wer kann das schon von sich behaupten? Der Südtiroler Durchschnittsbürger – oder eben nur eine Handvoll Politiker, Wirtschaftsberater, Anwälte und Unternehmer, die – egal um welches Geschäft, egal, um welches Projekt es geht – am Drücker sind?
Südtirol ist mit einem Identitätsproblem der anderen Art erwacht: Kann sein, dass wir im eigenen Land zu Ausländern geworden sind? Die Frage mag überspitzt sein, ist aber mit Blick auf die ,, Landesenergiegesellschaft“ berechtigt: Der Strom, bei dem wir zeigen wollten, wie gut wir uns verwalten können, ist zum Selbstbedienungsladen einiger weniger verkommen.
Das ganze Land in deiner Hand? Bevor wir über Vollautonomie reden, sollte gerade die SVP ihre Hausaufgaben machen. Das Thema: Selbstverwaltung ohne Freunderlwirtschaft.

Dieser Beitrag wurde unter Artikel, Kommentare abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.