Tourismus: Drohende Überkapazitäten

Grüne Landtagsfraktion, 20.06.2011

22 Tourismusentwicklungskonzepte durch die Landesregierung genehmigt: Bettenproduktion durch neue Hotels und Campings sprengt Grenzen der Raumordnung, verdrängt kleinere Betriebe und setzt Landschaft unter Druck.

Bereits im Jahr 1997 wurde die bis dahin durch die Raumordnung stark eingeschränkte Ausweitung touristischer Gebiete und Betriebe erleichtert: Der „Bettenstopp“ wurde aufgehoben und vor allem geringer entwickelten Gebieten gute Wachstumschancen eröffnet, während den Tourismushochburgen primär die Möglichkeit „qualitativer Erweiterung“ eingeräumt wurde.

2007 folgte ein weiterer Schritt der Liberalisierung der bereits gelockerten Raumordnung im Bereich Tourismus. Seither haben auch stark entwickelte Tourismusgemeinden Südtirols die Möglichkeit, ihr Bettenangebot entschieden auszuweiten. Ein Dekret des Landeshauptmannes (Nr. 55, 18. 10. 2007) ermöglicht seither auch starken Destinationen zusätzliche Erweiterungen bestehender Betriebe und die Errichtung neuer Unternehmen. Die bisher engen Grenzen der Expansion wurden erweitert und den Gemeinden bzw. Gastbetrieben erweiterte Spielräume zugestanden.

Wie funktioniert die Ausweitung? Interessierte Gemeinden können ein sog. „Tourismusentwicklungskonzept“ erarbeiten, das eine Standortbestimmung der bestehenden Situation und einen Ausblick auf künftige Entwicklungs-Szenarien vornimmt. Nach der Vorlage des Tourismusentwicklungskonzeptes (TEK) wird es durch eine Landes-Kommission nochmals überprüft und seitens der Landesregierung mit Änderungen oder Abstrichen genehmigt. Dabei werden für bestehende und neue Betriebe bestimmte zusätzliche Bettenzahlen fest gelegt, die die Grundlage für Kriterien und die konkrete Ausweisung von Tourismuszonen bilden. Auch die Ausweisung von Campingstellplätzen unterliegt dieser Regelung.

Seit März 2010 läuft die Verabschiedung von TEK auf Hochdruck. 22 zumeist stark erschlossene Gemeinden mit rasch wachsendem Tourismus haben inzwischen Konzepte vorgelegt, die die Landesregierung mit einigen Abstrichen genehmigt hat.

Die neu zulässigen Bettenkapazitäten sind beachtlich, wie der Blick auf die entsprechenden Gemeinden mit genehmigten Tourismusentwicklungskonzepten zeigt:

Gemeinde        Betten / Campingstellplätze
Abtei 400 / 30
Ahrntal 600
Algund 700
Barbian 255
Eppan 500 / 150 (mit Kaltern, Tramin, Pfatten)
Hafling 450
Innichen 600
Kaltern 400
Kastelruth 300 / 100
Lana 970 / 20
Latsch 500 / 100
Olang 600
Rodeneck 300
Sand in Taufers 400 / 100
Schnals 550 / 100
Tisens 160 / 100
Tramin 300
Villnöß 600 / 20
Welschnofen 500 / 100
——— ——
Summe   10.485 / 920

Welche sind die Folgen der seit 15 Monaten zügig verabschiedeten TEK, denen bald weitere folgen werden:

1. Drohende Überkapazitäten. 1997 hat das Raumordnungsgesetz in Südtirol für den Tourismus eine Obergrenze von 229.088 Betten festgelegt. Die Grenze entsprach dem 1985 im Lande vorhandenen Bettenbestand, der auf rund 212.000 gefallen war. Diese Grenze rückt inzwischen wieder näher: Anfang 2011 verfügt Südtirol über 219.502 Betten; noch 2006 waren es erst 216.329. Das Wachstum kommt also deutlich voran, obwohl in den letzten Jahren viele kleinere Betriebe das Handtuch geworfen haben und vom Markt gegangen sind. Werden die genehmigten 10.485 Betten und 920 Campingplätze realisiert, sprengt dies den vorgesehenen Plafond, zumal noch weitere TEK folgen sollen. Dann droht ein gesetzlich nicht zulässiges Überangebot an Betten. Schon jetzt dürfte es ein „heimliches Überangebot“ geben, da längst nicht alle Betten gemeldet werden. Überdies ist Südtirol im Alpenraum eines der drei Länder mit der höchsten Bettenzahl pro Einwohner und damit ein Spitzenreiter der Tourismusintensität.

2. Verdrängung der kleinen Betriebe und Orte. Südtirol erlebt bereits jetzt einen scharfen Prozess der Verdrängung, der „Marktbereinigung“. Zusammenfassend gilt: „Die Großen werden größer, die Schwachen schwächer“. Die Zahl der Hotels mit 3, 4 und 5 Sternen nimmt zu, allein die Vier- und Fünfsterne-Betriebe haben sich 1997 bis ­2011 von 202 auf 370 gesteigert. Häuser mit 1 oder 2 Sternen dagegen brechen förmlich weg, die Einstern-Häuser sind 1997 bis 2011 von 1134 auf 400 geschrumpft. Die TEK fördern den Verdrängungswettbewerb, da verstärkt große Häuser mit 100-120 Betten entstehen, gegen die kleinere wegen Preisdumpings der Großen oft nicht mehr konkurrenzfähig sind. Die Familienbetriebe, Rückgrat des Südtiroler Tourismus, geraten zunehmend unter Druck. Zudem greifen die Konzepte bevorzugt in den starken Destinationen: 10 der 22 TEK sind für die TOP 21 der 116 Südtiroler Gemeinden verabschiedet. Dagegen werden die rund 50 Gemeinden mit schrumpfenden Nächtigungszahlen durch die TEK oft zusätzlich geschwächt, vor allem das Unterland erlebt starke Einbrüche.

3. Erhöhter Landschaftsverbrauch: Die durch die TEK zugelassenen Betten können einerseits in bestehenden Betrieben realisiert werden, zudem durch Errichtung neuer Hotels und gastgewerbliche Unternehmen. Die Neugründungen zielen in der Regel auf große Raumvolumen, da sie hohe Bettenzahlen in großen Zimmern aufweisen. Darüber hinaus beanspruchen sie große Außenflächen. Vor allem sog. „Hoteldörfer“, wie das geplante, inzwischen auf Eis gelegte Mezdì oder die projektierte Tourismuszone in Hafling mit seiner „Hotellandschaft“ verbrauchen große Landschaftsflächen und erfordern wegen ihrer abgelegenen Situation oft aufwändige Zufahrtsstraßen und Infrastrukturen. Aber auch Groß-Campings wie der lange bekämpfte, jetzt genehmigte ‚Angerle-Camping‘ in Welschnofen erweisen sich als wahre Landschaftsfresser. Viele Gemeinden bringen aber diese „Opfer“ gerne, da sie als Eigentümer geeigneter Liegenschaften diese zu ‚versilbern‘ und durch ICI und Baukostenabgaben die Gemeindekasse zu stützen hoffen.

Der Hoteliers- und Gastwirteverband, hat sich lange relativ kritisch gegenüber den rasch zunehmenden TEK geäußert (Präsident Meister im Juli 2010: „Ein Wahnsinn“), ist nunmehr auffallend verstummt. Die Gründe muss man nicht lange suchen: Als einer der Betreiber der Tourismuszone Hafling hat Herr Meister wenig Interesse daran, eine Entwicklung zu unterbinden, von der er selbst erheblichen Nutzen erhofft.

Insgesamt besteht also für den Tourismus in Südtirol das Risiko eines überhitzten, vor allem aber ungleichgewichtigen Wachstums auf Kosten strukturschwächerer Gemeinden, von Landschaft und Umwelt.

Die Grünen fordern die Landesregierung auf,

  • ein einjähriges Moratorium einzulegen und vorerst keine weiteren TEK zu verabschieden, um die Entwicklung bis zum Frühjahr 2012 zu verfolgen.
  • Die Situation der strukturschwächeren Gemeinden mit Verbänden und Sozialpartnern eingehend zu analysieren, um Maßnahmen gegen das zunehmend einseitige Wachstum zu treffen.
Dieser Beitrag wurde unter Pressemitteilungen abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.