Hochburg für Abgehobene: Bruneck laut neuer Markenstrategie

Wozu das Brunecker Stadtmarketing genau da ist, ist, seit es besteht, eine häufig wiederholte Frage. Mit wechselnden Führungskräften hat es sich um alles Mögliche zwischen Werbung, Events und Interessengruppen gekümmert. Nun soll es sich wieder hauptsächlich auf „strategische“ Aufgaben konzentrieren, und als erster Schritt wurde ein „Markenbildungsprozess“ eingeleitet, unter der Regie von BrandTrust – bislang 38 Interviews, vier Workshops und im August eine Präsentation im Ragenhaus durch Christoph Engl persönlich, Kostenpunkt 90.000 Euro.

Kann durchaus ins Geld gehen, so ein Selbstfindungsprozess. Und es scheint mir doch ein wenig vermessen, wenn man in einem erlesenen Kreis von Interessenvertretern beansprucht, eine ganze Stadt zu charakterisieren und festzulegen, wie sie sich präsentieren und welche Entwicklung sie anstreben soll. Das Ergebnis ist, gelinde gesagt, ein bisschen einseitig. Aber gehen wir einmal durch, was uns nun als „Bruneck-DNA“ präsentiert wird.

Die „Markenkernwerte“

Erstens. „Bruneck ist tatkräftig. In Bruneck verliert man sich nicht in leeren Worten, sondern greift die Dinge sofort an und scheut dabei keine Anstrengungen.“

Wir tun also viel und überlegen nicht gerne. Hauptsache ist, dass wir etwas tun, uns anstrengen und sofort. Nicht zu viel mit Sinnfragen aufhalten lassen.

Ich muss aber gemäß eigenen Erfahrungen anmerken, dass die Kunst der leeren Worte, des langen Nichtentscheidens und des dann ganz schnell Irgendwie-Entscheidens in Bruneck schon auch eine gewisse Tradition hat. Die Südausfahrt wurde 28 Jahre nach der Südumfahrung eingeweiht, die Telenovela um die Nordringverlegung misst sich gleichfalls in Jahrzehnten, ebenso wie die Frage „Was tun mit dem Eisstadion?“, die schließlich, in Vorwahlzeiten, mit der Brechstange angegangen wurde und entsprechend teuer zu stehen kommt.

Zweitens. „Bruneck ist vorausdenkend. Bruneck hat die eigene Zukunft im Blick und legt heute schon die Weichen, um diese wie gewünscht zu gestalten.“

Stimmt, bevor man Weichen stellen kann, müssen sie erst einmal gelegt werden… Punkt zwei steht ein bisschen im Spannungsfeld zu Punkt eins. Zu viel denken mindert schließlich die Tatkraft. Und was die ganzen Konzepte, Leitbilder u. ä. betrifft, die sich in den letzten Jahrzehnten so angesammelt haben – die haben immer schöne einleitende Worte von wegen Nachhaltigkeit und Gemeinwohl. Die Entscheidungen werden dann zu ca. 100% nach tagespolitischer Opportunität getroffen. Besser, wenn in den Konzepten gleich schon nicht allzu viel Greifbares drin steht. Irgend etwas von „Gestaltung der Zukunft“ und so zu schwafeln hat noch nichts mit Weitblick zu tun.

Drittens. „Bruneck ist ambitioniert. In Bruneck setzt man sich große Ziele. Hinter allem Tun steht ein hoher Anspruch an das Ergebnis – es muss etwas Nachweisliches bringen.“

Sicherlich. Wir bauen das phänomenalste Eisstadion auf der Nordhalbkugel. Rund um den künftigen Techpark wird die Luft nur so surren von Innovation. Wir bauen die ganze Zeit Leuchttürme mit Strahlkraft bis in die Taiga. Wir sind Weltklasse in allem, was wir anfassen. Und wenn etwas teurer kommt als vorgesehen, dann hat es auf jeden Fall den entsprechenden Mehrwert. So ganz sympathisch kommt dieses Klassenbeste-Gehabe allerdings nicht immer herüber.

Viertens. „Bruneck ist aufgeschlossen. Bruneck ist interessiert an und offen für Unbekanntes außerhalb des Mainstreams. Neuen Ideen und Themen wird vorurteilsfrei begegnet.“

Ja. Mainstream will natürlich keiner sein. Es ist ja länger schon Mainstream, nicht Mainstream zu sein. Neues ist immer gut, vor allem wenn es digital ist oder so. Hauptsache, es stört niemand Wichtigen. Und wenn es dem Geschäft dient, dann natürlich umso besser. Das muss man wohl verstehen darunter. Bruneck hat sich ja in sozialen und kulturellen Fragen tatsächlich immer wieder sehr aufgeschlossen gezeigt, was ich persönlich an meiner Stadt sehr schätze. Ich habe aber das Gefühl, dass hier nicht davon die Rede ist.

Fünftens. „Bruneck ist sportlich alpin. In Bruneck ist man immer aktiv und in Bewegung. Sich in den Bergen sportlich auszuleben gehört zum Selbstverständnis.“

Freilich. Die Dichte an Outdoor-Outfits in der Stadtgasse und an geländegängigen Kingsize-PKW, die die städtischen Parkplätze verstopfen, ist hoch. „Richtigen“ Sport erkennt man ja bekanntlich daran, dass er eine englisch klingende Bezeichnung hat und ein Equipment mit Kosten im vierstelligen Bereich erfordert. Und da sind wir wahrscheinlich wirklich überdurchschnittlich. Im übrigen ist man hier natürlich schon ziemlich in den Bergen. So wie man halt in Jesolo ziemlich am Meer ist. Es soll aber durchaus auch hier lebende Menschen geben, die nicht in jeder freien Minute die Berge unsicher machen.

Fazit 1: Alles in allem wurde der Begriff „abgehoben“ wohl für Diskurse dieser Art geprägt.

Die „Zukunftsvision“

Die ganze Charakterisierung lässt sich dann natürlich auch in einen kurzen Satz zusammendestillieren:

Bruneck: die pulsierendste Hochburg für ambitionierte Menschen im Alpenraum.“

Ob man dem malträtierten Wort „pulsierend“ auch noch einen Superlativ verpassen sollte, möge von kompetenter Stelle geprüft werden. „Hochburg“ klingt ein wenig nach Belagerungszustand, noch mehr in der italienischen Bezeichnung „roccaforte“. Nun, eine Burg hätten wir ja. Dass wir unseren Herrschaftsbereich auf den Alpenraum reduzieren, deucht mich aber eine leichte Anwandlung von Bescheidenheit, die hoffentlich nicht ausufern wird.

Der „Ein-Wort-Wert“

Eine Stadt, ein Wort:

Bruneck ist MUTIG.“

Ja, das ist so ein Wort. Im Italienischen mit „audace“ wiedergegeben. Was im Deutschen wiederum eher mit „kühn“ oder „verwegen“ übersetzt wird. Das Italienische kennt übrigens auch noch ein griffiges Wort für den Fall, wenn der Mut etwas zu mutig wird: incoscienza – fehlende Bewusstheit, Leichtsinn, Gedankenlosigkeit.

Meine Übersetzung

Soweit, was wir in Bruneck sind, laut Diagnose der Arbeitsgruppe. Ich will nun einmal versuchen, das Ganze zu deuten und in eine mir geläufige Sprache zu übertragen:

Wir neigen in Bruneck etwas zu Gedankenlosigkeit, wir wollen immer das Beste und sofort, speziell wenn‘s die öffentliche Hand zahlt, und wir diskutieren nicht gern über Sinnfragen. Wir machen alles besser als alle anderen und haben deshalb per Definition eine glorreiche Zukunft. Unser Selbstbewusstsein ist grenzenlos und wir sind immer in Bewegung, kraxeln auf Berge oder rauschen selbige hinunter, wenn wir nicht gerade damit beschäftigt sind, Leuchttürme zu bauen.

Und wir wollen, kurz und bündig formuliert, ein alpiner Sammelpunkt für arrogante Schnösel sein. Die sollen aus allen Himmelsrichtungen herbei strömen, Hotelbetten und Restauranttische füllen und megainnovative Arbeitsplätze schaffen und einnehmen. „Schnösel‘s Choice“ wäre da vielleicht eine passende Zwei-Wort-Marke unter Verwendung von zwei Sprachen. Im Italienischen vielleicht „Il top per fighetti“. Sind halt schon vier Worte, aber man kann ja noch arbeiten daran.

Fazit 2: Ich bin nicht restlos begeistert vom Ergebnis.

Fünf Regeln für „Markenkonformität

Sodann geht‘s ans Eingemachte: Der Marken-Test. Alles, was in Bruneck auf die Beine gestellt und kommuniziert wird, sollte laut Markenstrategen zumindest vier von fünf Regeln entsprechen. Woher man die Autorität nimmt, festzuschreiben, was für Bruneckness stehen kann und was nicht, sei dahingestellt.

Die fünf Regeln im Selbstversuch. Da ich zwar kein gebürtiger, aber mittlerweile ein ziemlich langjähriger Brunecker bin und auch noch im Gemeinderat sitze, sollte ich wohl einmal testen, ob ich die nötige Compliance für die Brunecker Markenstrategie aufweise. Gehen wir die Regeln durch.

Pulsierend-Regel: Weiß nicht. Ich mag durchaus die Gesellschaft von Menschen, habe aber häufig auch sehr gern meine Ruhe. Und wenn‘s in der Stadt allzu sehr herum pulsiert, neige ich eher dazu, Abstand zu nehmen. Vielleicht macht sich ja langsam das Alter bemerkbar. – Bewertung: nicht besonders.

Leistungs-Regel: Sogar „höchste Leistungskraft im Alpenraum“ ist verlangt. Sorry, aber ich habe „Leistung“ nie als Selbstzweck gesehen. Ich neige auch dazu, dumme Fragen zu stellen, z. B. wozu etwas gut ist usw. – Bewertung: ungenügend.

Ambitions-Regel: Tut mir Leid, aber was Streben nach Status, Selbstbeweihräucherung u. ä. anbelangt, bin ich eher unterentwickelt. Ich bin bestrebt, was ich mache, anständig zu machen. Aber das reicht wohl nicht. – Bewertung: negativ.

Alpin-Regel: Was ich hauptsächlich betreibe, kann man mit „in der Landschaft herum gehen“ beschreiben und erfüllt wohl nicht ganz die Bedingungen für „sportlich alpin“. – Bewertung: nicht so sehr.

Stilistik-Regel: Ich habe gewisse Defizite mit dem Kirchturmdenken und ich gebe immer wieder ganze Sätze von mir, in denen nicht das Wort „Bruneck“ vorkommt. Ich lebe ja sehr gern hier, aber mit der Identifikation habe ich‘s allgemein nicht so. – Bewertung: eher schwach.

Eine ernüchternde Bilanz… Wäre ich eine Veranstaltung, so wäre von meinem Stattfinden in Bruneck eher abzuraten. Muss wohl an mir liegen. Und ich will jetzt auch nicht Besserung versprechen, denn das wäre glatt gelogen.

Fazit 3: Unsere Stadt verdient wohl mehr als ein paar „ambitionierte“ Worthülsen.

28.09.2018

Hanspeter Niederkofler

Anmerkung: Im Text kam abschnittsweise Ironie zum Einsatz. 

Dieser Beitrag wurde unter Bruneck veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.