POLITiS: neue Broschüre „Die Gemeindepolitik mitgestalten“

Neuerscheinung: POLITiS-Beiträge zur Demokratieentwicklung 3.2014

„Die Gemeindepolitik mitgestalten – Ideen und Verfahren für die direkte Bürgerbeteiligung in der Gemeinde“

Die Gemeindeebene ist jenes Feld der Politik, auf der sich Bürgerbeteiligung in beratender (deliberativer) und beschließender (direkter) Form am einfachsten umsetzen lässt. Nicht umsonst bilden die Bürgerbeteiligung und sogar „innovative Formen der Bürgerbeteiligung“ einen eigenen Abschnitt und einen Artikel in allen Gemeindesatzungen. Leider sind aber bisher kaum innovative Formen eingeführt worden und auch die Regelung der direkten Demokratie, sprich Volksabstimmungen, lassen stark zu wünschen übrig.

Wollen die Bürger und Bürgerinnen denn mitreden und mitentscheiden? Im Allgemeinen ja. So hat eine eben veröffentlichte, umfassende Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den Wirkungen von Partizipation auf die Demokratie ergeben, dass für die Bundesdeutschen in der Politik direkt mitzumachen gleich wichtig ist wie wählen. Zwei Drittel wünschen sich mehr Beteiligung, und wer sich an Volksentscheiden beteiligt, geht auch eher wählen. Die Studie weist auch eine Reihe von positiven Wirkungen für die Demokratie an sich nach:

  • Die Bürgerbeteiligung stärkt demokratische Kompetenzen; Bürger werden interessierter, kompetenter und aktiver in der Politik
  • Bürgerbeteiligung verhindert, dass Planungen, Investitionen und andere kommunale Maßnahmen an den Interessen der Mehrheit vorbeigehen.
  • Bürgerbeteiligung bringt neue Vorschläge und Idee ins Blickfeld.

Was die Bertelsmann-Studie noch ergab: auch 75% der befragten Politiker teilen die Einschätzung, dass die Demokratie insgesamt an Qualität gewinnt, wenn sich die BürgerInnen stärker beteiligen.

Trifft dieser Befund auch für Südtirol zu? Regelmäßige Bürgerversammlungen und die Leitbildentwicklung in 12 Gemeinden, einzelne Volksabstimmungen deuten darauf hin. Doch die Häufung von drei kommunalen Volksentscheiden im September 2014 ist eher Zufall. Noch immer kann man die jährlichen Volksentscheide in Südtirol an einer Hand abzählen, also kein Vergleich mit Bayern, wo seit 1995 über 1000 sog. Bürgerentscheide abgehalten worden sind, und ganz zu schweigen von der Schweiz. Dieser Rückstand liegt vor allem im Fehlen von gut anwendbaren, zweckgerechten Verfahren und bürgerfreundlichen Regeln. Zudem fehlt es an konkreten Erfahrungen, wie deliberative Verfahren der Beteiligung anzuwenden sind und ankommen.

Genau darum geht es in der neuen Publikation der Genossenschaft POLITiS. Es werden verschiedene, in den Nachbarregionen und Nachbarländer schon bewährte Verfahren der Bürgerbeteiligung vorgestellt, die im Rahmen der italienischen Rechtsordnung und der Gemeindeautonomie auch in Südtirol eingeführt werden könnten. So z.B.

  • Bürgerräte (in Vorarlberg gut angenommene Form der sachbezogenen Konsultation)
  • Bürgergutachten: partizipative Planungsprozesse zusammen mit Experten und Politikern (z.B. der Energierat der Stadt Lienz)
  • Öffentliche Anhörung und Öff. Debatte (in der Toskana und zahlreichen Gemeinden schon vorhanden, aber kaum bekannt und angewandt)
  • Der Bürgerhaushalt: die Investitionen der Gemeinde als Bürger mitbestimmen, das geht bereits in über kleineren und großen Kommunen Europas.
  • Neue Formen von Bürgerversammlungen, wie „Das Wort den Bürgern“ und der „Offene Gemeinderat“, und weitere Verfahren.

Bewusst haben die beiden Autoren dieser Publikation die deliberativen Verfahren mit den Verfahren zur Mitentscheidung, also den Volksabstimmungen, zusammengespannt. Hier mangelt es in Südtirol wie in ganz Italien an den nötigen Verfahren und auch an den Regeln. Wenn die Regeln bürgerfreundlich ausgestaltet sind, wie jetzt in den Gemeinden Mals und Kurtatsch, wird die Mitbestimmung für die Bürger interessanter. Bestehen dagegen zu hohe Hürden, trauen sich die Bürgerinnen nicht. Einige Beispiele:

  • Erst 11 Südtiroler Gemeinden haben das Beteiligungsquorum auf Null gesetzt.
  • In Mals können die erforderlichen Unterschriften einfacher gesammelt werden, weil jeder Bürger beglaubigen darf, nicht nur Amtspersonen oder Mandatsträger.
  • Die Briefwahl, in Mals im August erstmals in Italien durchgeführt, bringt eine Kosteneinsparung und höhere Abstimmungsbeteiligung.
  • Das allen Haushalten zugestellte amtliche Informationsheft bringt eine neutrale Information über die zu entscheidende Sachfrage.

Beide Arten von Verfahren – die deliberative und die direkte Demokratie – ergänzen die repräsentative Demokratie, so die Autoren Michelotto und Benedikter, beide haben ihren Stellenwert, wenn die Bürgerbeteiligung wirksam und interessant werden soll. Die Publikation bietet dabei nicht nur einen Überblick über eine anwendungsbezogene Auswahl von Verfahren, sondern bringt auch Interviews mit Gemeindepolitikern und Experten sowie vorformulierte Artikel für die Verankerung dieser Bestimmungen in der Gemeindesatzung. Die italienische Fassung erscheint Ende Oktober 2014.

Die Publikation wendet sich vor allem an Gemeinderätinnen, politisch Aktive, Gemeindeverwalter, ist aber für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich stärker beteiligen wollen, interessant. Das Buch ist zu 7.- Euro über info@politis.it zu beziehen sowie in den Buchhandlungen „Südtiroler Buchhandlung“ (Goethestraße) und „Mardi Gras“ (A. Hofer-Str) in Bozen.

Paolo Michelotto/Thomas Benedikter (2014), Die Gemeindepolitik mitgestalten – Ideen und Verfahren für die direkte Bürgerbeteiligung in der Gemeinde, POLITiS, Bozen 2014, 144 S.

POLITiS bedankt sich bei allen Mitwirkenden, bei den Interviewpartnern und Experten und bei den Institutionen, die die Herausgabe finanziell unterstützt haben (Autonome Region Trentino-Südtirol, Stiftung Südtirol Sparkasse).

26.10.2014

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