Tempo 100: Ja oder nein? (TT) Antwort Fritz Gurgiser

07 01 2014 Tiroler Tageszeitung: „Tiroler lassen sich nicht (aus)bremsen“

Noch vor einem Jahr sprachen sich 52 Prozent für ein Tempolimit aus, wenn die EU gleichzeitig das sektorale Lkw-Fahrverbot für bestimmte Güter einführt. Jetzt sind 53 Prozent generell gegen Tempo 100.

Innsbruck – Eklatanter Meinungsumschwung in der Tiroler Bevölkerung. Noch vor einem Jahr fand sich bei der TT-Umfrage eine klare Mehrheit für Tempo 100 auf der Autobahn. Auf die Frage, ob ein generelles Tempolimit von 100 km/h erlassen werden soll, um die EU zur Wiedereinführung des sektoralen Lkw-Fahrverbots für bestimmte Güter (Marmor, Steine, Stahl etc.) zu veranlassen, antworteten 259 der befragten 500 Personen (52 Prozent) mit Ja. Lediglich 35 Prozent hielten das damals für einen Kniefall vor Brüssel und stimmten dagegen.

Heuer ist das Verhältnis genau umgekehrt. 265 oder 53 Prozent der Befragten sind gegen Tempo 100 – und zwar generell, ohne Einschränkungen. 125 oder 25 Prozent sind konträrer Ansicht, sind also generell für Tempo 100. 14 Prozent schließlich oder 70 der 500 Befragten (die Karmasin-Meinungsforschung führte in der ersten Dezemberhälfte 2013 im Auftrag der TT eine Umfrage zu relevanten Themen in Tirol durch) können sich Tempo 100 vorstellen, wenn die EU bereits im Vorfeld zusichert, das sektorale Lkw-Fahrverbot wieder einzuführen.

Interessant ist die geschlechterspezifische Aufteilung der Gegner und Befürworter. Unter den 265 Tempo-100-Gegnern befinden sich nämlich 60 Prozent Männer. 2012 waren das noch 39 Prozent. Gleichzeitig sank die Zahl der Frauen, die unter bestimmten Voraussetzungen (sektorales Lkw-Fahrverbot) für ein Tempolimit auf der Autobahn eintreten, von 55 Prozent im Jahr 2012 auf 43 Prozent im Dezember 2013.

Ein Blick auf die Befragungsergebnisse in den Regionen zeigt, dass die Ablehnung interessanterweise dort am größten ist (67 Prozent), wo es keine Autobahnen gibt: in Osttirol. Im Außerfern hingegen liefern sich die Puristen ein Kopf-an-Kopf-Rennen: 49 Prozent sind für und 46 Prozent gegen Tempo 100, einem Kompromiss in Form von „ja, aber nur, wenn die EU dann das sektorale Lkw-Fahrverbot wieder einführt“ will hier niemand zustimmen. Im Tiroler Unterland, wo bekanntlich bereits jetzt sehr oft Tempo 100 verordnet ist (IG-Luft), sind 51 Prozent generell gegen dieses Tempolimit (2012 waren es noch 35 Prozent), 42 Prozent sind generell oder unter gewissen Voraussetzungen für die Drosselung der Geschwindigkeit. Anders im Tiroler Oberland: Hier gilt der so genannte Luft-Hunderter nur auf kurzen Teilstücken (Innsbruck-Zirl und Imst-Landeck), was sich auch auf die Befragung auszuwirken scheint: 63 Prozent (2012: 45 %) lehnen eine Temporeduktion rundweg ab. Nur 21 Prozent sind dafür, weitere zehn Prozent bei vorherigem Einlenken der EU.

Hinsichtlich der Zuordnung der Befragten zu politischen Gruppierungen ergibt sich ein zu erwartendes Bild. Die meisten Tempo-100-Befürworter gibt es mit 45 Prozent bei den Grünen, alle anderen Parteien sind mehrheitlich anderer Ansicht: die Freiheitlichen zu 78, die Liste Dinkhauser zu 66, die SPÖ zu 59 und die ÖVP zu 57 Prozent. Die mit Abstand geringste Zustimmung zu Tempo 100 kommt mit 20 Prozent von den FPÖ-Sympathisanten.

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VON MARIO ZENHÄUSERN

Der „Luft-Hunderter“, eingeführt vom damaligen SP-Umweltlandesrat Hans Lindenberger, signalisiert der Europäischen Union seit Jahren, dass die Tiroler Landesregierung es ernst meint mit ihren Bemühungen um bessere, sauberere Luft in Tirol. Schließlich lebt ein Großteil der Menschen in diesem Land seit mehr als 4100 Tagen im größten Luftsanierungsgebiet Europas, wie Transitkämpfer Fritz Gurgiser nicht müde wird zu betonen.

Letzteres dürfte wohl in erster Linie dafür verantwortlich sein, dass die Tirolerinnen und Tiroler die nur temporär geltende Geschwindigkeitsbeschränkung auf Teilen der Inntalautobahn bisher akzeptierten. Mürrisch zwar, aber immerhin. Und obwohl „Tempo 100“ für viele noch immer ein Reizwort ist, konnte sich bisher eine Mehrheit damit anfreunden, im Abtausch für Maßnahmen gegen den Lkw-Transit langsamer zu fahren. Generell, nicht bloß temporär.

Jetzt ist die Stimmung plötzlich gekippt, haben jene plötzlich eine Mehrheit, für die so ein generelles Tempolimit lediglich ein Kniefall vor Brüssel wäre, den sie kategorisch ablehnen. Damit gerät die neue Tiroler Landesregierung unter Druck. Bisher hatte sich die ÖVP bekanntlich immer auf den Standpunkt zurückgezogen, dass zuerst Brüssel reagieren und die Aufhebung des sektoralen Lkw-Fahrverbots rückgängig machen müsse. Die schwarze Regierungs- und Landtagsriege vertritt diese Meinung immer noch. LH Günther Platter hat erst vor wenigen Tagen im TT-Interview erklärt, dass er nichts von vorauseilendem Gehorsam gegenüber Brüssel halte. In der EU-Zentrale indes dreht die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs den Spieß um: Sie habe nichts gegen eine Wiedereinführung des sektoralen Lkw-Fahrverbots. Voraussetzung sei aber, dass Tirol ein Maßnahmenbündel mit Tempo 100 als zentralem Punkt erbringt. Als Vorleistung, nicht nachher.

Wer also macht den ersten Schritt? Die Entscheidung in dieser Frage ist einer der Prüfsteine für die schwarz-grüne Tiroler Landesregierung. Der neue Koalitionspartner der ÖVP hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, für eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung einzutreten. Und Brüssel hat mehrfach gezeigt, wer der Stärkere ist. Damit sind die Fronten abgesteckt. Auch wenn die Tiroler Bevölkerung keine Freude mit einem Tempolimit hat: An Verhandlungen und Kompromissangeboten – generell Tempo 110 – führt kein Weg vorbei. Wer weiter darauf wartet, dass Brüssel den ersten Schritt macht, verkennt die Tatsache, dass Tirol definitiv schlechtere Karten hat.

mario.zenhaeusern@tt.com

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Von: Fritz Gurgiser
Gesendet: Dienstag, 07. Jänner 2014 08:40
An: Mario Zenhäusern

Lieber Mario,

was ich noch nicht verstehe:

Warum agiert ausgerechnet die Tiroler Tageszeitung, die sich selbst immer gerne als „Landeszeitung“ bezeichnet, voll gegen erstrangige Interessen des Landes?

Tempo 100 ALLEIN ist keine Frage an 500 Damen und Herren in Tirol, außer man will bewusst manipulieren oder Ressentiments gegen die EU oder eben schwarz/grüne Konflikte schüren.

Tempo 100 ist NUR eine von mehreren Maßnahmen, um das herzustellen, was der Nordtiroler Zentralraum dringend braucht:

1) Eine Schadstoffbelastung unter den ohnedies zu hohen und sogar noch mit „Toleranzmargen“ ausgestatteten Stickstoffdioxidgrenzwerten zum Schutz der menschlichen Gesundheit.

2) Eine Schadstoffentlastung zur Abmilderung der genannten Grenzwerte zur Verbesserung der Wettbewerbssituation der Tiroler Betriebe im gesamten Zentralraum.

3) Eine Wiedereinführung des sektoralen Lkw-Fahrverbotes, um zumindest den Schrott und sonstigen Plunder auf die von uns finanzierte Eisenbahn zu „verlagern“.

Nach einem EuGH-Urteil stellt sich ja nicht die Frage, was die eine oder der andere für eine Meinung dazu hat – wenn ich nur gefragt werde, ob ich für oder gegen Tempo 100 bin, ist ja klar, was herauskommt.

Warum lassen also die Auftraggeber Tiroler Tageszeitung, die ich seit 1. 3. 1975 im Abo habe, nicht umfassend fragen:

1) Sind Sie dafür, dass weiterhin mehr als 200.000 Transitlaster mit Schrott, Müll, Steinen, Erden etc. auf der Autobahn über den Brenner fahren?

2) Sind Sie dafür, dass im Nordtiroler Zentralraum die Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit weiter um bis zu mehr als 100 % überschritten werden?

3) Sind Sie dafür, dass die Verlagerung auf die Schiene aufgegeben wird?

4) Sind Sie dafür, dass der Nordtiroler Zentralraum in Folge als Lebens-, Wirtschafts- und Erholungsraum aufgegeben und der Status der höchstbelasteten alpinen Transitroute fortgeschrieben wird?

5) Sind Sie dafür, dass sämtliche Rechte zum Schutz der menschlichen Gesundheit auf nationaler und internationaler Ebene gebrochen werden und der Transit auf der Straße durch Tirol ungehindert rollen kann?

Ganz abgesehen von den Manipulationen wie „von Brüssel aufzwingen“, als „Vorleistung“ zu erbringen oder „wenn die EU im Vorfeld zusichert“ (das ist wohl der größte Blödsinn überhaupt seit Veröffentlichung des EuGH-Urteils, wo wir alle und auch du sehr genau wissen, dass es so eine Zusicherung rechtlich niemals geben kann) – so müssen sich alle, die im Nordtiroler Zentralraum leben, arbeiten und wirtschaften „gewaltsam die Gesundheits- und Wirtschaftsbelastung aufzwingen“ lassen. Ist das intelligent und gescheit?

Denn niemand von uns hat verlangt, dass Tempo 100 als „Vorleistung“ erbracht wird, das war von Beginn an eine Schutzbehauptung und bewusste Manipulation der Bevölkerung, um die schlechte Stimmung gegen die EU auszunützen und sich in peinlicher Art und Weise davon abzulenken, dass es Tirol war, welches das bestehende ganzjährige Tempo 100 aufgegeben und stattdessen den Quatsch mit der Auf- und Abschalterei eingeführt hat, welcher bis heute NICHT einmal funktioniert, wie ich jederzeit schwarz auf weiß belegen werde.

Tempo 100 wird zeitgleich in einem ehrlichen Maßnahmenpaket verordnet oder eben nicht. Und nicht wie seinerzeit von LR Hans Lindenberger als „Placebo-Paket“.

Das ist unsere Sachmeinung dazu, sie muss sich mit dem üblichen Tiroler Politikquatsch ja nicht unbedingt decken, der von Rücksichtslosigkeit gegen das eigene Land, gegen die eigene Bevölkerung und gegen die eigene Wirtschaft geprägt ist.

LG
Fritz Gurgiser

Abonnent seit 1.3.1975

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