„Alles andere verschwindet wieder“

Neue Südtiroler Tageszeitung, 24.10.2013 – Die Architekten Armin und Alexander Pedevilla sind mit ihrer behutsamen Neuinterpretation der Bautradition der „Viles“ im Gadertal für den Südtiroler Architekturpreis nominiert. Ein Gespräch mit Armin Pedevilla über das Besondere an den Weilern und Identität in der Architektur.

Tageszeitung: Herr Pedevilla, was ist das architektonisch Besondere an die ladinischen Weilern, den sogenannten „Viles“?

Armin Pedevilla: Die Viles sind kleine Gruppen von Höfen, die sich durch ihre Geschlossenheit auszeichnen. Sie hatten im Gegensatz zu den Einzelhöfen den Zweck eine Gemeinschaft zu bilden, die sich durch gegenseitige Nachbarschaftshilfe, Solidarität und das Anbieten der elementaren Landwirtschaftlichen Dienste unter den in der „vila“ lebenden Familien auszeichnet.

Die meisten dieser romanischen Höfe bestehen aus mindestens zwei Gebäuden, dem Wohn- und dem Wirtschaftsgebäude, wobei das Wohnhaus einen gemauerten Sockel mit aufgebauter Holzkonstruktion hat und das Wirtschaftsgebäude zumeist vollständig aus Holz besteht.

Der First der Sattel- und Krüppelwalmdächer ist durchwegs zum Tal ausgerichtet. Die Gebäude haben oft einen an drei Seiten umlaufenden vorspringenden Holzmantel mit integrierter, windgeschützter Loggia. Sie respektieren das zumeist sehr steile Gelände, sind in den Hang gebaut und kommen vielfach ohne störende Stützmauern aus.

Viele der Weiler und Gebäude haben sich bis heute erhalten. Werden sie auch noch genutzt und bewohnt?

Ja.

Der Zauber dieser Gebäude besteht oft darin, dass sie häufig Spontanarchitektur der Bewohner waren. Wie gut waren die Bauern als Architekten?

Es ist weniger „Spontan“-Architektur, sondern vielmehr handwerkliches Können und Wissen, das über Generationen weitergegeben und verbessert wurde. Die Anforderungen in einem so steilen Gelände zu bauen, sind enorm hoch, sodass man grundlegenden ökonomischen Gedanken nachkommen musste. Jeder Stein und jeder Baum musste mit großem Aufwand gewonnen und be- arbeitet werden. Diese Ressourcen so einzusetzen dass sie die Bedürfnisse der in ihnen lebenden Menschen zur Gänze erfüllen, war die Herausforderung der Bauern. Das zeichnet diese Architektur aus.

Sie haben einen alten Hof bei Enneberg als modernes Wohngebäude neu aufgebaut. Sind Sie damit allein auf weiter Flur oder folgen andere Ihrem Beispiel?

Ob wir alleine sind weiß ich nicht. Vielfach gibt es eine Nachahmung der alten Baukultur, die meist nichts mit der ursprünglichen Entwicklungsgeschichte der Viles zu tun hat. Wir haben mit diesem Bau versucht, unseren Bedürfnissen gerecht zu werden und mit den gegenwärtigen technischen Möglichkeiten die vorgefundene Gegebenheit zu respektieren und mit ihr zu arbeiten, so wie unsere Vorfahren. Die Viles haben sich ständig weiterentwickelt und verbessert. Dem Beispiel „Pliscia“ folgend haben sich bereits Bauherren gemeldet, die diese Entwicklung mit uns gemeinsam weiterführen wollen.

Musste das alte Gebäude abgerissen werden oder haben Sie auf Bestehendem aufgebaut?

Wir haben lange versucht, mit dem Bestand zu arbeiten und diesen im Entwurf zu integrieren. Es stellte sich aber heraus, dass die Grundsubstanz unter anderem aufgrund von Feuchtigkeit schon soweit in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass sie nicht mehr erhalten werden konnte.

Ihr Entwurf nimmt die wichtigsten Elemente der traditionellen Bauweise wie Satteldach, Loggia, Holzfassade, aber auch die Materialien wie Sichtbeton, Zirbe und Lärche in einer reduzierten Sprache auf. Aus Gründen der Tradition oder der Funktionalität?

Tradition hat vielfach auch mit Funktion zu tun. Uns war es wichtig ein Gebäude mit möglichst wenig Materialien und solchen, die auch einen Bezug zur Umgebung haben, zu bauen. Innen haben wir uns auf weißen Sichtbeton mit Dolomitgestein und massive Zirbe der Nachbargemeinde beschränkt. Mit diesen beiden Materialien ist es uns gelungen, das gesamte Gebäude umzusetzen. Außen wurde eine Lärchenschalung verwendet.

Das Gelände ist sehr steil. War das die größte Herausforderung?

Das Gelände, die Belichtung, energetische Selbstversorgung, die Erschließung, der Bezug zum Aussenraum, Nachhaltigkeit und die Materialien waren nur einige der vielen Kriterien für den Entwurf. Die Herausforderung war, aus den vielen Bausteinen ein stimmiges Ganzes zu machen.

Was alle interessiert: Kostet ein Entwurf wie Ihrer deutlich mehr als ein von einem Geometer geplantes 08/15-Haus?

Wenn sie beispielsweise Brot beim Bäcker oder Brot beim Discounter kaufen, bedeutet das auch nicht automatisch, dass das Brot beim Discounter billiger ist als jenes beim Bäcker. Der Unterschied ist aber jedem bekannt.

In der gegenwärtigen Südtiroler Architekturdiskussion ist oft von Identität die Rede. Was ist gemeint, wenn man von der Identität von Bauwerken spricht?
Wenn Gebäude mit ihren Nutzern altern können und beginnen, Geschichten zu erzählen, dann haben sie eine Identität, der man auch den nötigen Respekt beimessen wird. Diese Gebäude werden erhalten. Alles andere verschwindet wieder.

Nur 15 Prozent der Südtiroler Bauten wird von Architekten geplant. Den Löwenanteil besorgen Geometer. Wie schwierig ist es, Bauherren zu überzeugen, dass es sich lohnt, einen Architekten zu engagieren?

Jeder hat unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche. Wir legen es nicht darauf an, Bauherren zu überzeugen. Jene, die von uns und unserer Arbeit überzeugt sind, sind unsere Kunden.

Die Auftragslage für Architekten gilt als überaus schwierig. Spüren Sie das?

Interessanterweise setzen die Menschen in der Krise vermehrt auf Qualität und haben höhere Ansprüche. Vielleicht bestätigt das auch unsere Arbeit.

Ihr Neubau ist für den Südtiroler Architekturpreis nominiert. Was bedeuten Preise für Sie?

Preise sind Bestätigungen dafür,dass wir zur Entwicklung unserer gegenwärtigen Baukultur beitragen. Für unsere Arbeit konnten wir bereits internationale Anerkennungen und Preise erhalten, regionale leider noch keine. Vielleicht klappt es ja diesmal.

Interview: Heinrich Schwazer

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Das Projekt hat den Südtiroler Architekturpreis in der Kategorie  „Housing“ sowie den Publikumspreis gewonnen.

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Eine Antwort auf „Alles andere verschwindet wieder“

  1. forumonline sagt:

    Wohnhaus in Pliscia: eine Neuinterpretation der alten Viles-Formen.
    Fügt sich hervorragend in die Landschaft ein.
    Erhielt den Südt. Architekturpreis für Wohnbauten und den Publikumspreis.
    Mateo Taibon (Facebook)