ff 35/2013: Sturm auf den Wald

ff Südtiroler Wochenmagazin, 35/29.08.2013 – Täglich werden in Südtirol 6.000 Quadratmeter landwirtschaftlicher Kulturgrund verbaut. Die Landwirtschaft selbst verwandelt pro Tag 5.000 Quadratmeter Wald in Wiesen. Es herrscht „Totalausverkauf“.

Die Diktion im technischen Bericht klang unaufgeregt: Die Gemeindeverwaltung von Eppan beabsichtige mit ihrem Antrag um Kulturänderung in der Örtlichkeit Kreuzstein, Wald in Landwirtschaftsgebiet umzuwidmen; eine Gesamtfläche von 22 Hektar würde „im örtlichen Interesse gerodet“.

Der Hintergrund des Antrags, mit dem sich das zuständige Forstkomitee im kommenden September befassen muss, klingt indessen interessanter: Die Gemeinde möchte den Wald bestmöglich veräußern, indem sie ihn vorher zum Landwirtschaftsgebiet umwidmen lässt und als Weinbaufläche vergolden kann. Der Verkauf soll Geld in die klamme Gemeindekasse spülen. Das Eppaner Beispiel mag kurios erscheinen, reiht sich aber in eine längst gängige Praxis ein. Der Sturm auf den Wald hat in Südtirol System.

Der Blick in den jährlichen Agrar- und Forstbericht zeigt, dass die Umwidmung von Wald in eine andere Bodennutzungsart oder Kulturgattung in den vergangenen sechs Jahren rasant zugenommen hat: In diesem Zeitraum wurden insgesamt rund 800 Hektar Wald umgewidmet und damit gerodet.

Der Südtiroler Bauernbund (SBB) war es, der im vergangenen Juni zu Recht zu einem Umdenken bei der Flächennutzung aufforderte. Er stützte sich dabei auf eine Studie des Sozialforschungsinstitutes „Apollis“. Demnach werden in Südtirol täglich Wiesen und Weiden in der Größe eines Fußballfeldes verbaut. Die Flächensicherung hat der SBB gar zu seinem diesjährigen Jahresthema gemacht. Die Flächennutzung müsse kritisch hinterfragt werden, „denn immer weniger Kulturgrund hat negative Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt, die Umwelt, den Tourismus“, heißt es in der entsprechenden Broschüre.
Dass in den vergangenen sechs Jahren von den insgesamt 800 Hektar Wald allein 569 Hektar in Landwirtschaftsgebiet umgewandelt wurden, blieb unerwähnt. Das entspricht umgerechnet einer Fläche von 800 Fußballfeldern, die zwar nicht einer verbauten, aber einer intensiven Flächennutzung zugeführt wurden – insbesondere der Obst- und Weinwirtschaft sowie der Grünlandwirtschaft (die in Südtirol oft genug auch mit einem Gülleproblem zu kämpfen hat). „Die Frage, ob damit der Pflanzenwelt und Umwelt gedient ist, sollte bei der Diskussion nicht ganz ausgeblendet werden“, sagt ein in der Materie kundiger Landesbeamter, der ungenannt bleiben will.

Auch das neue Urbanistikgesetz dürfte dem Griff nach dem Wald nicht Einhalt gebieten. Im Gegenteil. So wurden die Abläufe zur Kulturänderung von Wald in Landwirtschaftsfläche wesentlich erleichtert, die Öffentlichkeitsbeteiligung eingespart, während die Waldrodungen für Wohnbau- oder Gewerbeflächen einem größeren Aufwand in der Genehmigungsprozedur unterzogen werden. In beiden Fällen wird jedoch Wald entfernt – mit identischen hydrogeologischen Folgen, mit der gleichen Verringerung der Kohlendioxid-Bindung (je mehr das Treibhausgas in Form von Kohlenstoff in der Biomasse dauerhaft gespeichert ist, desto weniger wird damit die Atmosphäre belastet). Einzelne SBB-Kandidaten für den Landtag haben erklärt, „an den Bestimmungen für die Vereinfachung des Kulturänderungsverfahrens mitgewirkt“ zu haben. Bedenkt man, dass insbesondere in den vergangenen beiden Jahren die insgesamt umgewidmeten Waldflächen enorm zugenommen haben, darf die als Entbürokratisierungsmaßnahme präsentierte Beschleunigung des Kulturänderungsverfahrens zumindest hinterfragt werden. Während 2007 insgesamt 74 Hektar Wald umgewidmet wurden, schnellte dieser Wert im vergangenen Jahr mit 232 Hektar auf den dreifachen Wert an. Ein Rekordwert, der zu denken geben mag. Für Kulturänderungen hat Südtirols Landwirtschaftspolitik auch Förderungen vorgesehen.

„Wir haben Totalausverkauf wegen Ladenschluss“, bringt es ein Förster etwas zynisch auf den Punkt. Er bringt damit die Entwicklung mit dem Ende der Legislaturperiode seines Dienstherren, Forst- und Landwirtschaftslandesrat Luis Durnwalder, in Verbindung. Weil man wisse, dass es der in Bälde aus der Politik ausscheidende Landeshauptmann gut mit seinen bäuerlichen Landsleuten meine, habe es in jüngster Zeit besonders viele Kulturänderungsanträge gegeben, so die These. Zufall oder nicht: Tatsächlich wurden im Jahr 2012 Kulturänderungen im Ausmaß von 281 Hektar angesucht.

Genehmigt werden die Kulturänderungen gemäß Landesforstgesetz vom Landesforstkomitee. In ihm sitzen neben dem Landesrat für Forstwirtschaft als Vorsitzendem der Direktor der Landesabteilung Forstwirtschaft, zwei weitere Forstbeamte, ein Beamter aus der Landwirtschaftsabteilung, ein Bauernvertreter sowie ein Umweltschutz-Experte, den der Landesrat für Umweltschutz namhaft macht (die restlichen Beamten werden vom Forstwirtschaftslandesrat namhaft gemacht). Während die Erste Landschaftsschutzkommission am vergangenen 21. August zum letzten Mal tagte – sie verschmilzt aufgrund des neuen Urbanistikgesetzes mit der Landesraumordnungskommission zur neuen Kommission für Natur-, Landschafts- und Raumentwicklung – darf das Landesforstkomitee im September noch einmal tagen – bevor auch dieses mit der neuen Kommission verschmilzt. In bislang vier Sitzungen hat das Komitee im ersten Halbjahr eine Fläche von 90 Hektar Wald für Kulturänderungen genehmigt; Umwidmungen unter 2.500 Quadratmetern können von den Forstinspektoraten in Eigenregie genehmigt werden.

In der Diskussion rund um Waldrodungen darf freilich nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Südtiroler Wald trotz der Umwidmungen in der Summe seit Jahren zunimmt. Dabei sollte aber in einem Punkt klar differenziert werden: Der Verlust von Waldflächen durch Kulturänderungen in tal- und siedlungsnahen Gebieten unterhalb von 1.500 Metern kann nicht mit der unbestrittenen Zunahme des Waldes an der oberen Waldgrenze – verursacht durch den Klimawandel und Zuwächsen aufgelassener Weideflächen – aufgerechnet werden. Der Wald hat im siedlungsnahen Bereich eine ungleich wichtigere Naturschutz- und Erholungsfunktion.
Markus Larcher

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