Historische Bausubstanz: Ungerbremste Abbruchwut/Petition

von Andreas Gottlieb Hempel, Dolomiten, 02.08.2013

Bauernhöfe: Untergang der alten Baukultur geht weiter
Obwohl mehrere hundert Persönlichkeiten inzwischen die untenstehende Petition unterschrieben haben, ist dem Abbruch historischer Bausubstanz in der neu gefassten Bauordnung wieder kein Riegel vorgeschoben worden. Vielmehr steht zu erwarten, dass dank Kubaturbonus u.a. weitere Höfe der Spekulation zum Opfer fallen.
Die baukulturelle Identität Südtirols geht verloren.


Die Zeit läuft davon

Seit über fünfzig Jahren kennt der Autor dieser Zeilen Südtirol. In diesem halben Jahrhundert ist hier nicht nur mehr gebaut worden als in einem halben Jahrtausend zuvor, es ist auch so viel alte Bausubstanz abgerissen worden wie nie zuvor. Wer heute auf einen schönen alten Bauernhof trifft, der kann fast sicher sein, dass er nicht mehr bewohnt wird. Daneben ist ein neues Gebäude entstanden, im älplerisch angehauchten 08/15-Stil, das überall stehen könnte. Der Altbau wartet indessen auf den Abbruch, damit die ursprüngliche Kubatur wiederhergestellt werden kann – obwohl am Ende ein Mehrfaches an umbautem Raum im Grünland entstanden ist. Die Dörfer fangen an, ihr Gesicht zu verlieren, die neuen Häuser ähneln sich zum Verwechseln, die heimatliche Identität, die von den alten Höfen über Generationen vermittelt wurde, verschwindet mehr und mehr. Es ist wenig von der bäuerlichen Baukultur übrig geblieben – geht sie nun völlig unter?

Abriss allerorten

Man braucht etwa nur in das Gsieser Tal zu fahren und wird es fast nicht wiedererkennen, so viele der schönen alten Holzbauten sind verschwunden. Dort gibt es noch keinen Ensembleschutz – wahrscheinlich hat die emeindeverwaltung resigniert -, und dieser Tage fällt der Poscherhof in Pichl der Spitzhacke zum Opfer. Einer der nächsten wird wohl der seit Jahren unbewohnte Obersieglerhof sein (erbaut 1866), obwohl er denkmalgeschützt ist. Aber die Denkmalschutzbehörde scheint gegenüber wirtschaftlichen Interessen und allgemeinem Unverstand machtlos. Auf diesem Gebiet bildet die mächtige Baulobby Südtirols mit dem weit verbreiteten baukulturellen Desinteresse eine Abriss- und Neubauwutphalanx, gegen die der Sachverstand des Denkmalschutzes auf verlorenem Posten steht. Er kompensiert diese Ohnmacht allerdings dann, wenn jemand wirklich bereit ist, ein altes Gebäude zu renovieren – von den Schwierigkeiten mit dem Denkmalschutz kann mancher einsichtige Bauherr dann ein verteuertes Liedchen singen.

Falsche Förderung

Wir haben auf dieser Seite schon mehrfach gelungene Sanierungen alter Höfe vorgestellt. Dahinter standen immer Bauherren, die neben dem Herzblut übermäßig viel Geld ausgeben mussten ohne eine ausreichende Förderung. Diese findet am falschen Platz statt: beim Neubau, bei „energetischer Sanierung“ mit oft zweifelhaftem technologischem Ergebnis, beim sog. Kubaturbonus. Das Unwort der Baukultur sollte „Kubatur“ lauten. Sie hat der Spekulation Tür und Tor geöffnet und jenen, die sich für den Erhalt einsetzen, nur Nachteile beschert. Dazu kommt ein geradezu erschreckendes Unverständnis bei den Hofeignern für den immateriellen Wert, den sie mit ihren schönen alten Gebäuden besitzen. So bekommt jeder schließlich das, was er verdient – im wahrsten Sinne dieses Wortes!
Andreas Gottlieb Hempel

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PETITION- Freitag, 2. August 2013 11Baukultur

Was wäre die Südtiroler Kulturlandschaft ohne die alten und ehrwürdigenBauernhöfe und erhaltenswerten Gebäude?Jede Talschaft weist ihre Besonderheiten auf. Die historische bäuerliche Bausubstanz stellt ein unverzichtbares Kulturgutdar, das leider allzuhäufig preisgegeben wird. Vorschub leistet dabei das Raumordnungsgesetz.Die vom Gesetz zugelasseneKubaturerhöhung führtmeist zum Abbruch der wertvollenalten Gebäude. Viele ehrwürdige Bauernhöfe sind auf diese Weise verloren gegangen und mussten gesichtslosen Neubauten weichen.Es gibt zwar in Südtirol mustergültige Beispiele von gelungenen Hofsanierungen, abermeist nur dort, woDenkmalschutz besteht.Dieser greift in den seltensten Fällen! DerGroßteil der alten Bauernhöfe –nichtdenkmalgeschützt, aber dennoch erhaltenswert – ist nach wie vor zum Abriss freigegeben! Diesdank einer obsoletenGesetzesbestimmung, die in der Vergangenheit viel Unheil angerichtet hat und imEntwurf des neuen Raumordnungsgesetzes– anstatt aufgehoben– fortgeschrieben wird! Andernorts(s.Schweiz) wäre so etwas nicht tolerierbar. Schluss mit dem mutwilligen Abbruch der altenBauten! DerGesetzgeber ist endlich aufgerufen, das Bewusstsein für denWert der bäuerlichen Bausubstanz zu wecken, bevor es zuspät ist. Er hatdiePflicht, dieSanierung alter Bauernhöfe und historischer Gebäude, sofern irgend möglich, als vorrangiges Ziel darzustellen und zu fördern. Auch das imMärz erlassene Gesetz zur energetischenSanierung bestehender Bausubstanz wird zur Folge haben, dass durch den Anreiz mittels Kubaturbonus der Abbruch mit Neubau geradezu belohnt wird! Wasnützen uns aber alte Weiler und Ortszentren, wenn es dort aussieht wie in normalen Erweiterungszonen? Die historischen Gebäude und Bauernhöfe haben unsere Kulturlandschaft und damit auch unsere Identität wesentlich mitgeprägt. Wir sind zur Erhaltung der wertvollen alten Bausubstanz auch kommenden Generationen gegenüber verpflichtet. Dies muss im öffentlichen Bewusstsein Südtirols einen neuen, verstärkten Stellenwert erhalten. Machen Sie mit! Teilen Sie dieses Anliegen und bekunden Sie Ihr Einverständnis auf der Website des Heimatpflegeverbandes.

Kuratoriumf ür TechnischeKulturgüter/Heimatpflegeverband Südtirol

Die Erstunterzeichner: Peter Ortner, Helmut Stampfer, Albert Willeit, Josef Oberhofer, Rudi Rienzner, Wittfrieda Mitterer, Gernot Rössler, Leo Tiefenthaler, Krista Romen, Siegfrid Tutzer, Siegfried Brugger, Utta Steinkeller, Alois Lageder, Karin Welponer, Franz Staffler, Arthur Scheidle, Sepp Waldner, Sandra Bortolin, Ivo Laimer, Elmar Streitberger, Magdalena Kuppelwieser, Kathrin Solderer, Claudio Rossaro, Daniele Biasibetti, Paul Ranzi, Paolo Mazzucato, Rudi Benedikter, Gerd Staffler, Ulli Wodenegg, Martin Christoph von Tschurtschenthaler, Andreas Fabi, Reinhold Marsoner, Carl Philipp Baron von Hohenbühel, Sergio Sannicoló, Laura Papadopoli, Johanna Kiebacher, Othmar Heinz, Martin Pickel, Karl Tragust, Manfred Pinzger, Elmar Thaler, Oskar Pohl, Bernhard Lösch, Walter Harpf, Claudia Plaikner, Michael Burger, Klaus Graber, Christian Steger, Erich Erlacher, Christian Dollinger, Monika Angerer, Margit Pernthaler, Kurt Wiedenhofer, Simon Wellenzohn, Andreas Gottlieb Hempel, Sonia Alber, Veronika Riz, Günther Mathà, Hanns Egger, Johannes Firmian, Dora Aicher, Brigitte von Aufschnaiter Müller-Hartburg, Niky Tribus, Elisabeth Tribus, Alex Telser, Paul Harich, Ennio Chiosi, Peter von Hellberg, Klaus Widmann, Peter von Aufschnaiter, Theresa von Aufschnaiter, Leo Andergassen, Georg Simenoni, Roland Baldi, Hans Hinterhuber, Roland DellaGiacoma, Toni Ebner, Martha Ebner, Zeno Braitenberg, Heiner Schnabl, Heike Tschenett, Matthias Gander, Susanne Waiz, Konrad Bergmeister, Diego Bernardi,Christine Rier, Klaus Tragbar, Massimo Girardi, Diethelm Judmaier, Richard Schönhuber Franchi, Graf Ferdinand Huyn, Anna Lageder, Felix Longo, Michi Riz, Rolando Cembran…

Fotos: So sieht das Ende aus. Hempel Ekkehart Straudi. ©Ein historischer Hof verkommt. Hempel Fortschreitender Verfall. Hempel Warten auf den Abbruch. Hempel Verlassene Heimat

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