Vereinigung Südtiroler Biologen: Offener Brief zur geplanten Verbauung des Brixner Lidos

Vereinigung Südtiroler Biologen, 12.07.2013
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Stadträtin,
mit großem Erstaunen haben wir aus den Medien entnommen, dass es Bestrebungen eines Sportfunktionärs gibt im Areal des Brixner Lidos Tennisplätze zu errichten und dass dafür ein beträchtlicher Teil der heutigen Wasserfläche zugeschüttet werden soll.

Dem Statut unserer Vereinigung folgend, das vorsieht in Themen mit Naturschutz-Relevanz Stellung zu beziehen, und nach Rücksprache mit dem Vorstand unserer Vereinigung wurde ich einstimmig dazu ermächtig in dieser Sache vorstellig zu werden, um Ihnen unsere grundsätzliche Ablehnung gegen jegliche Verkleinerung der bestehenden Wasserfläche zu übermitteln. Wir erachten einen so gearteten Eingriff als absolut unverantwortlich in Bezug auf den hohen biologischen Wert des Lido. Aufgrund der hohen Naturschutz-Relevanz für die Provinz Bozen haben wir uns auch erlaubt diesen Brief an die zuständigen Naturschutz-Amtsträger weiterzuleiten. Aufgrund der Dringlichkeit der Angelegenheit senden wir den Brief schon vorab an die im Briefkopf angegebenen Personen. In den nächsten Absätzen möchten wir Ihnen die Gründe für unsere Ablehnung im Detail erklären:

Es ist ein absoluter Tabu-Bruch bestehende Wasserflächen, allen voran Augewässer, zu verkleinern. Die Wasserflächen, welche die heutige Generation auffindet, sind selbst schon ein letzter Rest einer ehemals gewässerreichen Landschaft. Die Talsohlen waren einst mit zahlreichen Altarmen bedeckt, die für die biologische Vielfalt immens wichtig waren. Das Lido stellt ein letztes Überbleibsel eines alten Eisack-Mäanders dar und ist somit auch ein wichtiges Refugium für viele ehemals häufige Arten, allen voran für Krebse, Amphibien und Reptilien (siehe unten). Es ist ein absolutes Tabu diese letzten Stillgewässer anzutasten, gleich wie es ein Tabu sein sollte Tennisplätze auf kulturhistorisch wichtigen Stätten, z.B. dem Domplatz, zu errichten.

Das Lido ist Lebensraum für seltene und bedrohte Tierarten der Südtiroler Fauna. Eine Verkleinerung würde diese Bedrohung mit Sicherheit erhöhen, zumal Tiere für ihre Habitate eine Mindestgröße brauchen. Nur so können sie vorübergehende qualitative Veränderungen in den Habitatbedingungen, z.B. klimatischer Natur, problemlos überstehen. Ist dies nicht der Fall, können schon kurzfristige Änderungen zum Erlöschen der gesamten Population führen. Hier listen wir Ihnen die wichtigsten Tierarten auf:

  • a. Dohlenkrebs (Austropotamobius pallipes italicus ): Der Dohlenkrebs ist auf der weltweiten IUCN-Liste als „endangered“ aufgelistet, d.h. er besitzt den zweithöchsten weltweiten Gefährdungsgrad. Noch viel wichtiger ist aber der Status der Art im Anhang II der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH). Für Arten, die einen solchen Status besitzen, besagen die EU-Gesetze folgendes: „Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen.“ Südtirol befindet sich im Moment unter extremen Zugzwang, weil bislang noch nicht ausreichend für den Schutz von FFH-Arten unternommen wurde. Die Dohlenkrebs-Population im Brixner Lido ist eine der wenigen intakten Populationen in ganz Südtirol. Eine Beeinträchtigung der Population könnte dem Land Südtirol schwerwiegende rechtliche Probleme einbringen, weil Südtirol aufgrund verschiedener Vertragsunterzeichnungen für den Schutz der Art auf ihrem Territorium verantwortlich ist.
  • b. Der Teichmolch scheint in der Roten Liste gefährdeter Tierarten (Autonome Provinz Bozen-Südtirol, 1994) als „stark gefährdet“ auf. Derzeit ist in Südtirol nur eine weitere Population der Art bekannt (Naturmuseum Südtirol, persönliche Mitteilung).
  • c. Die Erdkröte sowie die Gelbbauchunke (noch bis in die 80er Jahre im Lido angetroffen) scheinen in der Roten Liste als gefährdet auf. Aufgrund des Rückganges der Arten sollten geeignete Habitate konsequent geschützt werden. Außerdem kommt im Lido der seltene Seefrosch vor.
  • d. Im Lido wurden auch gefährdete bzw. stark gefährdete Reptilien registriert, so die Würfelnatter, die Äskulapnatter und die Ringelnatter.
  • e. Mehrere Fischarten, die im Lido vorkommen, scheinen in der Roten Liste als gefährdete Arten auf, so der Karpfen, die Schleie, die Laube, die Elritze und der Hecht.
  • f. Die Große Teichmuschel, in der Roten Liste als „potentiell gefährdet“ eingestuft, weist im Lido eine sehr gesunde und individuenstarke Population auf.
  • g. Eine Reihe von Vögeln, die auf Gewässer angewiesen sind, nutzen regelmäßig das Lido als Lebensraum, so der Eisvogel und der Flussuferläufer (beide in der Roten Liste als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft). Gesichtet wurden außerdem Krickente, Rohrdommel, Rallenreiher, Knäckente, Blässralle, Teichralle, Spießente und Waldwasserläufer. Weitere seltene Vogelarten profitieren von einer vielfältigen, abwechslungsreichen Stadtlandschaft, wie sie das Lido im heutigen Zustand darstellt. Im Lido wurden in den letzten Jahren der Wendehals, der Grün- und Buntspecht, Wiedehopf und sogar die Waldschnepfe und der Wendehals (beide Rote Liste: „stark gefährdet“) beobachtet.

Die geplanten Maßnahmen würden in erster Linie den offenen Wasserbereich, die alten Weidenbestände sowie den Koniferenhain betreffen, alles Lebensräume, die für Gefäßpflanzen wenig interessant sind. Trotzdem finden sich am Gewässerrand zahlreiche Nischen, die auch spezielleren Pflanzenarten Platz geben. Laut Roter Liste der Gefäßpflanzen Südtirols (Wilhalm & Hilpold 2006) sind 43 % der vom Aussterben bedrohten Arten Südtirols Arten von Feuchtbiotopen und beinahe die Hälfte der Arten, die im letzten Jahrhundert ausgestorben sind, fielen der Vernichtung oder Degradierung von Feuchtlebensräumen zum Opfer. Diese zwei Umstände sollen verdeutlichen, dass aus botanischer Sicht die teilweise Zerstörung von Stillgewässern absolut unannehmbar ist.

Der kulturhistorische Aspekt ist nicht Kernkompetenz der Biologenvereinigung, trotzdem finden wir es sehr wichtig verantwortungsvoll mit unserem kulturellen Erbe umzugehen. Ein Areal, das den ehemaligen Lauf des Eisacks verdeutlicht und so wichtige Institutionen wie die Brixner Schwimmschule beherbergte, ist auch aus kulturhistorischer Sicht überaus wertvoll. Wir ersuchen sie eindringlich umsichtig mit unserem kulturellen und Natur-Erbe umzugehen.

Das gesamte Areal der Fischzucht, zu dem das Lido gehört, steht unter Ensembleschutz der Gemeinde Brixen. Die teilweise Zuschüttung wäre eine extreme Zuwiderhandlung gegen dieses Schutzformat, zu dessen Befolgung sich die Gemeinde Brixen verpflichtet hat und wäre ein Präzedenzfall mit negativer Signalwirkung für ganz Südtirol. Wir erachten den Ensembleschutz als äußerst wichtiges Instrument, um den ästhetischen Wert unserer Landschaft zu erhalten. Der Bau von Tennisplätzen mit gleichzeitiger Zuschüttung eines Teiles des Lidos würde dem von der Gemeinde festgelegten Regelungen (Kommuniqué der Gemeinde Brixen vom 15.12.2005, Absatz 3.5) klar widersprechen. Wir zitieren: „Die Eingriffe müssen in jedem Fall den anerkannten historischen Wert erhalten und/oder aufwerten“.

Das Areal der Fischzucht, zu dem das Lido gehört, ist im Landschaftsplan der Gemeinde Brixen als besonders geschützte Fläche ausgewiesen. Dieses Schutzformat ist mit der teilweisen Zuschüttung und dem Bau von Tennisplätzen sicherlich nicht vereinbar. Die Gemeinde Brixen ist gut beraten sich an jene Regeln zu halten, die sie sich selbst auferlegt hat, ansonsten verliert der Landschaftsplan jegliche laubwürdigkeit und verkommt zur reinen Farce.

In einem Zeitungsartikel wurde das Lido im jetzigen Zustand als „Schandfleck“ bezeichnet.Für uns ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Wir vermuten, dass sich die Einschätzung auf die noch trüben Wasserverhältnisse und auf die noch nicht abgeschlossene Renaturierung bezieht. Wenn man aber aus dieser Einschätzung das Recht ableitet das Lido teilweise zu zerstören, wäre das ungefähr so, als wenn man beschließen würde eine romanische Kirche abzureißen, weil ein Fresco heruntergebrochen ist. Im Falle einer Kirche ist allen klar, was zu tun ist: Sie muss renoviert werden. Bei einem Gewässer ist der Fall ähnlich gelagert: Der biologische und ökologische Wert muss noch weiter verbessert und die Fläche darf keineswegs auch nur teilweise zerstört werden.

Das Lido ist eine wichtige Ruhe-Oase im Süden von Brixen und wird vor allem von Familien mit Kindern viel und gerne genutzt. Die Erfüllung dieser Funktion kann mit Sicherheit noch weiter verbessert werden. Das Areal wurde in den letzten Jahrzehnten durch den Bau von Sport- und Unterhaltungsstätten schon mehrfach verkleinert. Eine weitere Verkleinerung ist absolut untragbar.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Stadträtin, aus den oben genannten Gründen ersuchen wir Sie die Pläne zur Errichtung von Tennisplätzen im Brixner Lido kategorisch abzulehnen. Als Vereinigung werden wir mit Sicherheit darauf pochen, dass die FFH-Richtlinien der Europäischen Union, zu deren Einhaltung sich Südtirol verpflichtet hat, strikt befolgt werden und möchten nochmals ausdrücklich auf die weitreichende rechtliche Dimension, die die Zerstörung eines Teiles des Lido hätte, hinweisen.

Mit freundlichen Grüßen,
Norbert Dejori
in offizieller Vertretung der Vereinigung Südtiroler Biologen (VSB)

Bozen, 12.07.2013

(An den Bürgermeister der Stadtgemeinde Brixen, Dr. Albert Pürgstaller und die Umweltstadträtin Dr. Elda Letrari Cimadom; zur Kenntnis an den Stadt- und Gemeinderat der Stadtgemeinde Brixen sowie an den Landesrat für Natur, Landschaft und Raumentwicklung Dr. Elmar Pichler-Rolle, an den Abteilungsleiter der Abteilung 28 (Natur, Landschaft und Raumentwicklung) Dr. Ing. Anton Aschbacher und an den Amtsdirektor des Verwaltungsamtes für Landschaft und Raumentwicklung der Provinz Bozen DDr. Horand Ingo Meier; zur Kenntnis an die Medienvertreter. )

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