Arnold Tribus: Zivilcourage

Neue Südtiroler Tageszeitung, 27.11.2010

Joseph Zoderer, der Pepin, ist 75 geworden, und seine Brunecker Freunde haben für ihn ein großes Fest ausgerichtet. Mit Zoderer wird die große Literatur gefeiert, nie ist ein Schriftsteller unseres Landes so zelebriert worden. Es genügt ja ein Blick auf die Liste der Dichter- und Schriftstellerkollegen um zu sehen, dass wir es da mit einem Großen der europäischen Literatur zu haben, wäre er bedeutungslos, ein provinzielles Würstchen, würde niemand den weiten Weg nach Bruneck auf sich nehmen, um dem Südtiroler Dichterfreund und Dichterfürsten zu hommagieren. Ihre Anwesenheit bedeutet, dass wir es mit einem europäischen Schriftsteller zu tun haben, der sich mit seiner Prosa ersten Ranges seinen festen Platz in der europäischen Literaturgeschichte bereits erobert hat.

Nun will ich auch zu den Gratulanten gehören und ihm sagen, dass ich seine Vitalität bewundere, seine jugendliche Kraft, seine Eleganz und seine nie versiegende sexuelle Potenz, aber vor allem freue ich mich auf sein neues Buch und dann schon auf das nächste, das er bereits angekündigt hat. Über seine literarischen Fähigkeiten und seine Bedeutung ist in diesen Wochen viel gesagt worden, mir steht kein Urteil zu, dazu bin ich zu ungebildet, ich bin nur Leser und kein Kritiker. Was ich aber an dieser Stelle loben und hervorheben möchte, ist die Zivilcourage, die Zoderer in all den Jahren gezeigt hat. In Italien genießt er großes Ansehen, er wird mit dem ebenso großen Claudio Magris in einem Atemzug genannt, wenn es um Grenzgänger geht, und wenn die nationale Presse etwas Gescheites über Südtirol erfahren will, dann pilgern sie alle zu Zoderer, er ist die erste und, was die Intellektuellen betrifft, wohl auch einzige Adresse. Ja, wo sind sie denn, unsere Dichter und Denker, wenn es darum geht, Stellung zu beziehen, sich einzumischen, den Mund aufzumachen, sich zu Wort zu melden, zu protestieren, ihre Meinung zu sagen? Großes Schweigen. Als vor zwei Jahren im Museion die Posse um den Kippenberger Frosch uns vor aller Welt lächerlich machte und das liberale Südtirol von den ­Reaktionären und Klerofaschis­ten übertölpelt wurde, wehrten sich einige Wenige, die Masse der Künstler – und wir haben nun wirklich nicht wenige – schwieg, schaute weg und lamentierte sich im Gasthaus. Eine ängstliche, furchtsame, feige, mutlose, zaghafte und kleinmütige Bagage versteckte sich, ließ sich weder blicken noch hören, man weiß ja nie, wie die Mächtigen, von denen man ja abhängig ist, das beurteilt hätte. Ach, wie lob ich mir da den alten Joseph Zoderer, aber auch den ebenso alten Markus Vallazza, die immer Zivilcourage beweisen, Tiroler Schneid, Unerschrockenheit, Unverzagtheit, Kühnheit. Mumm. Die fürchten sich nicht. Die lassen sich nicht unterdrücken, sie sind keine Duckmäuser, die sich anpassen und anbiedern, die schweigen, weil sie was haben wollen, weil sie sich kleine Privilegien erwarten, eine kleine Zuwendung , eine große Subvention. Unsere Künstler sind alle zu Landeskünstlern geworden, hängen alle an den Tutten der Landeskuh, sind alle geübt im Antichambrieren und Schreiben von Gesuchen.

Müssen Dichter, Schriftsteller, Künstler, Denker und so genannte Intellektuelle zu Ereignissen ihrer Zeit Stellung nehmen? Die Frage ist alt und müßig und wird gar nicht mehr diskutiert, es scheint einfach zu vulgär, sich mit Themen wie Gerechtigkeit und Menschenwürde, Freiheit und Rassismus etc, auseinanderzusetzen. Dazu ist man zu fein und geistig zu hochgestellt. Man lebt unter einer Käseglocke oder tut so und lässt sich nicht hinab in die Niederungen des Lebens. Entbindet die Gnade der Kunst von der Aufgabe, für das Bessere zu kämpfen, für das Zukünftige, gegen das Schlechte und Dumme? Warum überlässt die Intelligentia das Feld vollkommen den Marktschreiern und Populisten? Sie sollen Stellung beziehen, wünsch ich mir, Ich wünsch mir hundert Zoderer und Vallazzas.

Alles Gute, Pepin!

Dieser Beitrag wurde unter Artikel abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.