„Hochnäsige Einstellung“

Neue Südtiroler Tageszeitung, 21.11.2010

Der Schweizer Remy Holenstein, der 17 Jahre lang in Südtirol gelebt hat, nimmt in einem Gastkommentar zum Thema Referendum Stellung – und kritisiert den SVP-Landessekretär Philipp Achhammer.

Ich bin Schweizer und kenne sowohl die schweizerische, wie auch die Südtiroler Politik recht gut, denn ich lebte 17 Jahre in Südtirol und nahm aktiv am politischen Geschehen teil.

Beim Lesen Ihrer Gedanken zur direkten Mitbestimmung der Bürger am politischen Entscheiden, entstand bei mir der starke Eindruck, dass Sie sich nicht der großen Verantwortung bewusst sind, welche Sie als Landessekretär der SVP, wie auch Ihre Parteikollegen im Landtag tragen. Wenn Politiker das Volk vom Mittragen wichtiger Entscheide ausschließen, dann bürden sie sich die Hauptlast der Verantwortung für alle Fehlentscheidungen selber auf. Zwar ist bekannt, dass solche Fehler für die Verantwortlichen im rechtlichen Bereich meistens glimpflich ablaufen, aber im seelischen Befinden können nur massiv unempflindliche Menschen die zwangsläufigen Folgen übersehen. Zu den von Ihnen angestrengten Vergleichen mit der Schweiz möchte ich klarstellen, dass die meisten Politiker in der Schweiz sehr froh sind, dass die bei wichtigen Entscheiden die Verantwortung an das Volk abgeben können. Einmal weil sie selber die Folgen von Fehlentscheiden nicht tragen müssen und zum Zweiten weil das Volk im Schadensfall nicht die Politiker dafür verantwortlich machen kann.

Dann zeigt der Vergleich mit der Schweiz auch, dass die Politiker durch die Volksabstimmungen nicht überflüssig werden. Im Gegenteil, sie finden dadurch weit mehr Gelegenheit, die Grundlagen ihrer Politik dem Volk verständlich zu machen, was ihnen mehr Goodwill einträgt als die hochnäsige Einstellung „oben sind wir, die fürsorglichen Politiker“ und „unten ist das dumme, entscheidungsunfähige Volk“!

Noch eine Äußerung zeigt, dass Sie das schweizerische System nicht kennen. Sie behaupteten, dass das Volk andauernd an die Urne gerufen werde. Tatsache ist aber, dass es in der Schweiz nur vier Abstimmungstermine pro Jahr gibt, wobei oft nicht alle vier benötigt werden. Noch ein letzter Vergleich: In der Schweiz gibt es bei Abstimmungen keine Quoren, weil Quoren die Entscheidung grundsätzlich verfälschen. Denn jene, welche nicht an Abstimmungen teilnehmen, drücken damit weder „Ja“ noch „Nein“ aus. Ihnen ist es einfach egal, wie bei der Abstimmung entschieden wird. Das Nichtstimmen darf deshalb keinesfalls als „Nein-Stimme“ zur Wirkung kommen. Quoren aber machen Nicht-Stimmen zu Nein-Stimmen und das ist rechtsstaatlich unhaltbar.

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