DirDem: Billige Werbung an Stelle sachlicher Argumente!

Noch am selben Tag, an dem wir SVP-Obmann Theiner den Offenen Brief übergeben haben, erschien in der online-Ausgabe der Neuen Südtiroler Tageszeitzung vom 7.3.
schon die Erwiderung des Landtagsabgeordneten Arnold Schuler.
Hier, was wir dazu zu sagen haben (siehe auch online-Ausgabe der Neuen Südtiroler Tageszeitzung vom 10.3.):

Billige Werbung an Stelle sachlicher Argumente!

Wie unernst und unkompetent SVP-Landtagsabgeordnete mit dem Thema Direkte Demokratie umgehen und wie billig sie Werbung betreiben, um die wahre Natur des eigenen Vorhabens zu kaschieren, zeigt ihre Reaktion auf unsere Kritik.
Hier unsere Meinung im Einzelnen zu den ins Feld geführten Blendlichtern:

„Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, so Schuler, soll wesentlich erleichtert werden.“
Mit-Bestimmung wird mit dem SVP-Vorschlag nicht erleichtert, sondern verunmöglicht! Wie kann man angesichts der vorgesehenen doppelten Unterschriftensammlung und einer Verdreifachung der Unterschriftenzahl, des Ausschlusses wesentlicher Bereiche, von einer Erleichterung reden?

Schuler bezeichnet den SVP-Gesetzentwurf als „ein ausgewogenes Gesetz, welches neue und unkomplizierte Formen der Bürgerbeteiligung ermöglicht.“
Ein Gesetz zur Direkten Demokratie kann nicht mehr oder weniger ausgewogen sein. Unausgewogen im Sinne einer Ablehnung der Mitbestimmung hieße, keine wirksame „Mit-Bestimmung“, höchstens noch „Bürger-Beteiligung“. Am anderen Ende der Skala liegt faire und wirksame Mitbestimmungsmöglichkeit! Eine neue Form der Bürgerbeteiligung im SVP-Gesetz ist einzig und allein das Zwei-Stufen-Modell und auf diese Neuerung können Bürgerinnen und Bürger liebend gerne verzichten. Und natürlich, je weniger Möglichkeiten man anbietet, desto unkomplizierter, aber eben auch uninteressanter und unwirksamer wird es.

Schuler wiederholt gebetsmühlenhaft: „Außer in der Schweiz, gibt es europaweit kein Modell zur Bürgerbeteiligung, das ähnlich weitreichend ist wie der SVP-Vorschlag, sei es sowohl was die Möglichkeiten betrifft als auch die Zugangshürden.“
Allein schon diese Aussage zeugt von der demagogischen Argumenationsweise. Schuler soll seine Ranking-Liste vorlegen, die seine Aussage beweist. Grundsätzlich ist länderübergreifend überhaupt kein Vergleich möglich, weil die Regelungen unvergleichbar unterschiedlich sind. Das einzige, was man feststellen kann, ist die mehr oder weniger gegebene Nutzbarkeit und entsprechende Wirksamkeit einer Regelung. Dazu ist aber festzustellen, dass Direkte Demokratie, außer in der Schweiz, in keinem Land wirklich politikrelevant ist. Wenn man sich also an allen anderen Realitäten als jener in der Schweiz orientiert, dann bleibt man im Bereich bedeutungsloser Mitbestimmung. Die Aussage, dass die Zugangshürden im SVP-Vorschlag nur von denen in der Schweiz gültigen unterboten würden, ist schlichtweg falsch. Italien kennt Zugangshürden in der Höhe von 1-2%, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein von 5% , Berlin von 7% – außer Italien alle mit freier Sammlung! Der SVP-Vorschlag sieht 10% vor.

Schuler glaubt zu wissen: „Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht über Gesetzestexte, sondern über Prinzipien und Großprojekte von Landesinteresse abstimmen. Das Gesetz sieht etwa vor, dass in einem Zwei-Stufen-Modell auch formlose Anliegen an den Landtag und die Landesregierung herangetragen werden können.“
Auch das ist eine unbelegbare Behauptung, die von einer intellektuellen Beschränkheit der Bevölkerung gegenüber der politischen Vertretung ausgeht. Für letztere wäre es freilich ein gefundenes Fressen, wenn die Bürgerinnen und Bürger nur über Prinzipien abstimmen dürften. Die Landesregierung sorgt schon ausreichend mit Kannbestimmungen in ihren Gesetzesvorlagen dafür, dass sie die Dinge in den Durchführungsbestimmungen dann drehen und wenden kann, wie sie es will. „Formlose Anliegen an den Landtag und die Landesregierung“ sind im Bereich der Bürger-Beteiligung und nicht der Mit-Bestimmung angesiedelt und angesichts eines selbstherrlichen Politikstils ziemlich uninteressant. Wenn schon der eindeutige Ausgang der Volksabstimmung zum Flugplatz die Landesregierung unbeeindruckt weitermachen läßt …

Schuler und Pichler-Rolle zum Abschluss: „Wir stellen uns mit unserem Gesetz gerne der Diskussion, weil wir überzeugt sind, dass damit der richtige Weg beschritten wird.“
Die intensivste und öffentlichste Diskussion findet im Hinblick auf Volksabstimmungen statt. Unser Vorschlag, die Bürgerinnen und Bürger in einer Volksbefragung über den SVP- und den BürgerInnen-Entwurf abstimmen zu lassen, wurde von der SVP-Spitze abgelehnt. Nebenbei ist es lächerlich zu verkünden, sich der Diskussion stellen zu wollen, wenn das Diskussionsergebnis irrelevant ist, weil die eine Seite am Machthebel sitzt und tun und lassen kann, was sie will.

Wir wünschen uns endlich eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, und mit einer guten und wirksamen Regelung der Direkten Demokratie für alle wichtigen Fragen in unserer Gesellschaft eine, die Bürgerinnen und Bürger endlich auf gleicher Augenhöhe mit der politischen Vertretung führen können!

Hier noch einmal

OFFENER BRIEF AN SVP-OBMANN RICHARD THEINER

Herr Obmann der Südtiroler Volkspartei,

es ist Zeit, Sie und die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land an Ihr persönliches Verhalten, das Ihrer Partei und Ihrer Abgeordneten im Südtiroler Landtag zu erinnern, nämlich an Ihren seit vielen Jahren beschämenden Umgang mit dem so hohen Gut der Demokratie, mit der Mitbestimmung, zum Schaden der Demokratie.

Damit auch deutlich ist, worum es geht: Der oberste Wert in einer Demokratie ist nicht, wie Sie vielleicht meinen mögen, das Recht vertreten zu werden, sondern die Beteiligung aller Betroffenen an den Entscheidungen, die für alle gelten.
Dieses Recht verhindert die SVP als machthabende Partei in Südtirol ganz bewusst seit sie damit von den Bürgerinnen und Bürger konfrontiert wird: seit über 18 Jahren. Bis zum Jahr 2001 mag man die Ausrede gehabt haben, dass dafür die Zuständigkeit nicht beim Land gelegen hat. Seit aber diese Zuständigkeit mit der Reform des Autonomiestatutes an das Land Südtirol übergegangen ist, liegt es allein an Ihrer Partei, das Recht auf Mitbestimmung anwendbar zu machen. Auf Druck eines 2003 im Landtag eingereichten Volksbegehrens, das deren faire Regelung verlangte, hat Ihre Partei einen Gesetzentwurf vorgelegt und ihn 2005, in voller Überzeugung von seiner Qualität, verabschiedet. Nach der Volksabstimmung 2009 haben Sie und Ihre Partei dieses Gesetz verleugnet und so getan, als gäbe es dieses gar nicht. Der Grund dafür war wohl der Zorn der Bürgerinnen und Bürger über das Beteiligungsquorum, das von Ihrer Landtagsfraktion als Verhinderungsmechanismus in das Gesetz eingebaut worden war.

Uns war von Anfang an klar, dass dieses heute noch gültige Gesetz unbrauchbar ist. Deshalb haben sehr viele Organisationen und viele Tausend Bürgerinnen und Bürger mit aller Anstrengung versucht es zumindest dafür zu verwenden, ihre Vorstellung von einem guten Mitbestimmungsrecht allen Bürgerinnen und Bürger in einer ersten landesweiten Volksabstimmung zur Entscheidung vorzulegen. 148.815 Bürger und Bürgerinnen gingen zur Abstimmung und stimmten mit überwältigender Mehrheit (83,2%) für dieses bessere Gesetz.

Die rechtlich und moralisch korrekte Haltung der politischen Vertretung den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber hätte sein müssen: Geht abstimmen und sagt Eure Meinung dazu! Was die Landesregierung und Ihre Partei hingegen aufgeführt hat, wissen Sie. Der Grund dafür, dass das 40%-Quorum wegen 7.000 fehlender Stimmen nicht erreicht worden ist, ist Ihnen bekannt: Die Warnung vor einem „unregierbaren und im Chaos versinkenden Land“ und die von der Landesregierung gezielt geschürte Angst in der italienischsprachigen Bevölkerung vor einer „Benachteiligung als Minderheit“ bei Abstimmungen. Nach unserer Auslegung des Gesetzes Nr. 28/2000 (par-condicio), Art. 9, die mittlerweile von der obersten Aufsichtsbehörde für Kommunikation bestätigt worden ist, hat die Landesregierung damit auf widerrechtliche Weise den Ausgang der Volksabstimmung beeinflusst. In 83 Gemeinden ist das Quorum erreicht worden, gefehlt haben die Stimmen vor allem in den Gemeinden mit hohem Anteil italienischsprachiger Wähler.

Sie waren sich des beschämenden Verhaltens der Landesregierung und des groben Fehlers Ihrer Partei wohl bewusst. Dennoch haben Sie nicht getan, was Sie daraufhin laut verkündet haben, nämlich dass Sie sich mit uns zusammensetzen wollten, um eine für beide Seiten akzeptable neue Regelung der Direkten Demokratie auszuarbeiten. Gezählt hat für Sie nicht der Wille der Bürgerinnen und Bürger, der sich in der Volksabstimmung klar ausgesprochen hat, sondern das Image der SVP und die weitere Deckung der Interessen, die Ihre Partei gegen wirksame Mitbestimmungsrechte vertritt.

Vorgelegt wurde von der SVP im Landtag dann 2011 – eineinhalb Jahre später – ein Gesetzentwurf, der nichts von dem an sich hatte, was fast ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger in der Volksabstimmung 2009 gewollt hatten. Es war ein parteiinterner Kompromiss, der darauf hinauslief, Mitbestimmungsmöglichkeit nur vorzutäuschen. Nicht Kontrolle der Entscheidungen der politischen Vertretung und nicht gleichberechtigtes Initiativrecht für die Bürgerinnen und Bürger, sondern Bedienung der politisch Herrschenden mit Vorschlägen und Ideen wäre sein Zweck gewesen. Direkte Demokratie im Dienst der politischen Macht anstatt Teilung der Macht mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Zum vierten Mal in 16 Jahren mussten im Frühjahr 2011 angesichts dieser Missachtung des Wählerwillens die über vierzig Organisationen und Tausende Bürgerinnen und Bürger Ihnen und Ihrer Partei zeit- und kostenaufwändig mit einem Volksbegehren in Erinnerung rufen, was wirksam gestaltete Mitbestimmungsinstrumente sind. Sie hatten wieder die Chance, im Landtag eine Korrektur der Zielrichtung vorzunehmen. Vorsorglich hatten Sie noch vor der Volksabstimmung mit einer Änderung des Gesetzes von 2005 der Richterkommission die verfassungsrechtlich fragwürdigen Mittel in die Hand gegeben, zukünftige Volksabstimmungen über Grundgesetze für verfassungswidrig zu erklären. Diese Frage war aber vom Verfassungsgericht nie entschieden worden und kann auf diese Weise auch nicht entschieden werden.

Die Behandlung in der Gesetzgebungskommission im Herbst 2011 war keine. Sie hat uns nur die Unfähigkeit und den Unernst der SVP-Vertreter im Umgang mit Sachfragen vor Augen geführt. Es ging nicht um eine gute Lösung, sondern einzig um die Durchsetzung des im Vorfeld ausgehandelten parteiinternen Kompromisses, d.h. einer wirkungslosen Regelung.
Wie wenig Ihre Partei davon überzeugt war, damit dem Willen der Bürgerinnen und Bürger zu entsprechen, wurde deutlich an ihrer Ablehnung der von uns angebotenen Volksbefragung über beide Gesetzentwürfe – jenem der Promotoren von 2009 und dem der SVP. Anstatt dessen verkündeten Sie Anfang Jänner 2012 ein merkwürdiges direktdemokratisches Vorhaben – nämlich das Volk über die von Ihrer Partei verabschiedeten Gesetzesvorschläge (Direkte Demokratie und Wahlgesetz) in einem bestätigenden Referendum entscheiden zu lassen. Einmal mehr wurde damit ein verqueres Verständnis von Direkter Demokratie deutlich, historisch gesehen genau jenes, das autoritäre Regierungen mit ihr verfolgen: die Sanktionierung ihrer Macht. Immerhin, die Südtiroler Wähler hätten zumindest erstmalig die Erfahrung machen können, über das Inkrafttreten eines vom Landtag beschlossenen Gesetzes entscheiden zu dürfen. Dann aber hat Ihre Partei erleben müssen, wie allein sie mit ihrem Gesetzentwurf dasteht, in der Gesellschaft und im Landtag. Und es begannen die Vertagungen mit der Begründung, dass es weiterer Klärung (!!) bedürfe. Gleichzeitig wuchs die Einsicht, dass das Referendum eine Niederlage würde, und das vor den Landtagswahlen – der größte anzunehmende Unfall, der nicht geschehen durfte. Was blieb also, als die Behandlung Ihres Gesetzentwurfes so weit hinauszuzögern, bis das Referendum in dieser Legislatur nicht mehr möglich ist. Den Bürgerinnen und Bürgern ließen Sie über die Medien fürsorglich ausrichten, dass Sie ihnen eine Abstimmung so kurz vor den Wahlen nicht zumuten wollen. Das wärs dann gewesen.

Nein, Herr Parteiobmann Theiner: Die Wahrheit ist, dass Sie und die Machthaber in Ihre Partei die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger nicht wollen. Der Wunsch von sehr vielen Menschen – auch in der SVP, wie sich in der Volksabstimmung 2009 gezeigt hat – nach realer Partizipation und wirksamer Mitbestimmung bei der Bewältigung der Probleme und bei der Suche nach den besten Lösungen für dieses Land, wird missachtet. Sie hatten über viele Jahre die Möglichkeit, mit einer fairen Regelung der Direkten Demokratie die Macht mit den Bürgerinnen und Bürgern zu teilen. Das wäre eigentlich Direkte Demokratie!
Nun stehen die Landtagswahlen vor der Tür. Die Versuchung, auf das Vergessen der Menschen zu setzen, ist wohl größer denn je. Wir vergessen nicht! Wir Promotoren werden weiterhin das in unserer Macht Stehende unternehmen, um den Demokratisierungs-prozess in Südtirol voranzutreiben. Das sind wir uns, unserer Heimat und den zukünftigen Generationen schuldig.

Erwin Demichiel
für den Vorstand der Initiative für mehr Demokratie

Stephan Lausch
Koordinator

p.s.: Und unabhängig von allem Gesagten, es bleibt dabei:
Wir sind für ernst gemeinte Gespräche zu diesem Thema jederzeit offen.

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