Eine Frage der Gerechtigkeit

Leitartikel ff 02/2012 – Entscheidend für unsere Gesellschaft ist, wie sich Reichtum verteilt. Was will die Wirtschaft: Gerechtigkeit oder Umverteilung von unten nach oben? Die Mythen der freien Marktwirtschaft.

Seit Stefan Pan Präsident des Unternehmerverbandes ist, kritisiert er die öffentliche Hand. Die Kritik wiederholte er beim Jahresempfang des Unternehmerverbandes am vergangenen Montag. Das Land, sagt er, habe weder im öffentlichen Dienst noch im Gesundheitswesen Einsparungen vorgenommen, er beklagte auch, dass die Politik nicht auf die Wirtschaft höre. Bei der Diskussion um den Haushalt im Südtiroler Landtag konnte man das Gegenteil vernehmen: Es sei ein Gesetz, lautete die Kritik, das die Wirtschaft diktiert habe. Ist die Südtiroler Politik wirklich unternehmerfeindlich oder übt die Wirtschaft nur Druck aus, um in Krisenzeiten das Ruder ein für alle Mal auf ihre Seite zu reißen?  

Die Rede von Stefan Pan wirft ein paar Fragen auf: Kann die öffentliche Hand prinzipiell schlechter mit Geld umgehen als Privatunternehmer? Wem hilft es, wenn die öffentliche Verwaltung schrumpft? Sind Investitionen der öffentlichen Hand unrentabler als die Investitionen von Privaten? Wie flexibel müssen Arbeitnehmer sein? Gehören öffentliche Dienstleistungen in private Hände oder sind Wasser, Strom oder Müll öffentliches Gut? Welches Verhältnis haben die Südtiroler Unternehmer zu den Gewerkschaften? Wie viel Steuern sind für Unternehmer und Arbeitnehmer zumutbar? Wie viel Geld braucht jemand, um ein zufriedenes Leben zu führen? Gehören Soziales und Gesundheit nicht zur Wirtschaft? Was muss ein Betrieb abwerfen? Wem hilft es, wenn im öffentlichen Sektor Arbeitsplätze abgebaut werden? Müssten wir nicht viel eher in guten Zeiten sparen und in schlechten Geld ausgeben, um etwa die Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten – und damit die Wirtschaft zu stärken und den Konsum anzukurbeln?
Täuscht der Eindruck oder geht es der Wirtschaft nicht um Gerechtigkeit, sondern um Umverteilung von unten nach oben? Das mag nun nicht unbedingt ein bewusstes Vorhaben sein, eine Verschwörung, aber es ist eine Geisteshaltung, Diese Geisteshaltung besagt, dass der Markt alles von allein regelt, der Staat sich aus der Wirtschaft zurückziehen soll, dass dann der Reichtum schon von oben nach unten durchsickert, dass die öffentliche Hand schlecht wirtschaftet, öffentliche Dienstleistungen in private Hände gehören, die öffentliche Hand abspecken muss, dass Sozialleistungen gekürzt und Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut, Steuern gesenkt und Wettbewerbshindernisse abgebaut werden müssen – all die Mythen der freien Marktwirtschaft.

Dort, wo die „freie Marktwirtschaft“ am weitesten fortgeschritten ist, in den USA, sehen wir die „Erfolge“ der Verdrängung der Politik aus der Wirtschaft, die Folgen des Rückzugs der öffentlichen Hand: Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander, die Arbeitslosigkeit wird chronisch, die Finanzwirtschaft bestimmt die Gesetzgebung, die Banken werden gerettet, aber die kleinen Hausbesitzer verlieren ihr Vermögen, die Finanzwirtschaft wird gestützt, aber die Gesundheitsversorgung gekürzt, wer sein Einkommen mit unselbstständiger Arbeit verdient, bezahlt mehr Steuern als jemand, der sein Einkommen aus der Finanzwirtschaft bezieht.

Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaft, beschreibt in seinem neuen Buch den „Preis der Ungerechtigkeit“: Immer wenigere besitzen immer mehr, diese wenigen üben mit der Macht des Geldes einen unverhältnismäßigen Einfluss auf die Politik aus – eine ungerechte Gesellschaft ist auch undemokratisch, weil sie Teilhabe erschwert. Eine ungerechte Gesellschaft ist unproduktiver als eine Gesellschaft, in der Reichtum gleichmäßig verteilt ist, eine ungerechte Gesellschaft ist von Monopolen und nicht von Wettbewerb gekennzeichnet, weil die Gesetze auf die Bedürfnisse der Mächtigen zugeschnitten sind.

Gerechtigkeit ist für die Zukunft der Gesellschaft eine entscheidende, wenn nicht die entscheidende Frage.

Georg Mair

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Eine Antwort auf Eine Frage der Gerechtigkeit

  1. Carla sagt:

    Wie und wodurch sind Südtiroler Unternehmen entstanden? Und durch wen werden diese Unternehmen getragen? Durch gute Mitarbeiter und Förderungen von Seiten der „Öffentlichen Hand“.
    Herr Pan ist ein „Schwätzer“, wie es viele auf der Welt gibt. Er lebt von seinen Mitarbeitern. Ohne die Mitarbeiter ist er ein „NICHTS“.
    Wie sehe es in den Betrieben und Unternehmen aus? Wenn nicht die notwendigen Fachkräfte, notwendige Infrastrukturen, soziale Versicherungen ecc. vorhanden wären?
    Herr Pan, ich war selber in Unternehmen im In- und Ausland tätig. Ich habe Ihnen öfters zugehört und gelesen was sie von sich geben. Was sie den Leuten erzählen sind „Märchen“. Wie Sie in diese Position gekommen sind, ist mir ein Rätsel?? Sie bedienen sich an den öffentlichen Geldtöpfen schon lange Zeit.
    Zusammenfassend kann man zu Ihnen sagen. Sie wollen die Gewinne und Profite privatisieren und die öffentlichen Ausgaben „sozialisieren“. Als wären die Unternehmen nicht Teil dieser Gesellschaft.
    Immer den sogenannten „Schlauen“ spielen. Fachliche Argumente findet man bei ihren Aussagen kaum. Mit populistischen Tricks können Sie mich nicht überzeugen. Entschuldigung, aber wie und wo leben Sie eigentlich??