ff 46/2012: Ulrich Ladurner – Südtiroler Normalisierung

ff Südtiroler Wochenmagazin, 46/15.11.2012 – Feindbilder die Allmacht des Landeshauptmanns, ein Volk, das sich vom Herrscher abwendet, und die Südtiroler als räuberische Piraten. Der Blick von Zeit-Redakteur Ulrich Ladurner auf das Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist.

Der Feind steht vor der Tür – immer und jederzeit. Deshalb müssen wir wachsam sein. Und wir müssen zusarnmenhaiten, um jeden Preis. Das ist seit Jahrzehnten das ideologische Fundament der Südtiroler. Es ist gewissermaßen in ihren genetischen Code eingeschrieben. 

Das Bild vom immerzu lauernden Feind geht mit einer zweiten Vorstellung einher: Der Feind ist nicht nur böse, sondern er ist auch schlechter als die Südtiroler. Er ist faul, unfähig und korrupt, während die Südtiroler fleißig, fähig und absolut sauber sind. Er ist uns nur zahlenmäßig überlegen, auf allen andern Feldern schlagen wir ihn mit Leichtigkeit.
Der Feind der Südtiroler ist seit 95 ]ahren Italien. Doch das ist nicht mehr als eine historische Zufälligkeit. Feinde haben ewigen Charakter, Sie sind nicht gebunden an die Geschichte. Es gibt sie immer und wird sie immer geben, denn die Südtiroler erschaffen in der Abgrenzung ihre Identität. Erst der Feind gibt ihnen die Möglichkeit, zu wissen, wer sie sind. Er ist der Spiegel, in dem sie sich erkennen. Ohne ihn wären sie orientierungslos und verloren.

In diesen Wochen geschieht etwas höchst Verwirrendes. Die Südtiroler müssen erkennen, dass sie gar nicht so anders sind als die Italiener, jedenfalls ihre politische Kaste nicht. Der Skandal rund um die Sel hat für das kleine Land Südtirol die Ausmaße, die der Korruptionsskandal Mani Pulite im jahr I992 für Italien hatte. Damals geschah das Undenkbare. Die allmächtigen italienischen Parteien fielen binnen kurzer Zeit in sich zusammen wie Kartenhäuser. Auch in Südtirol ist das bis vor Kurzem noch Undenkbare möglich geworden: Luis Durnwalder wankt. Der Kaiser Luis ist so nackt, wie es 1992 die italienischen Parteifürsten waren. Südtirol erfährt so gesehen eine Normalisierung. Es blickt todesmutig wie immer dem Feind direkt ins Antlitz und erkennt zu seinem eigenen, tiefen Erschrecken die Züge seines eigenen Gesichts.

Was Durnwalder jetzt widerfährt, ist für viele schockierend, überraschend ist es nicht. Wer jahrzehntelang an der Macht ist, beginnt daran zu glauben, dass er über den Gesetzen steht. „Der Staat bin ich“ – das dachte mit der Zeit wohl auch Durnwalder. Sein Volk hat es ihm freilich leicht gemacht. Es wollte ihn allmächtig und nicht anders. Sie wollten Untertanen sein. Die hunderttausend Vorzugsstimmen, die Durnwalder bei Wahlen erhielt, sind dafür ein schlagender Beweis. Der Herrscher und sein Volk sind eine symbiotische Beziehung eingegangen. Diese Beziehung geht jetzt zu Ende. Das Volk wendet sich ab, nicht aus Opportunismus, sondern aus einer geradezu naturgesetzlichen Notwendigkeit heraus. Herrscher kommen und gehen. Manchen gelingt ein würdiger Abgang, anderen nicht. Das Volk hat eine längere Lebensdauer. Es tritt nicht ab. Es bleibt.

Die besondere Ironie an der Südtiroler Normalisierung, die wir jetzt erleben, ist, dass sie zu einem Zeitpunkt sichtbar wird, in dem die Kräfte, die sich von Italien lösen wollen, so stark sind wie schon lange nicht mehr. Die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht gibt es, seit Südtirol zu Italien gehört. Heute wird sie mit ein paar zusätzlichen, neuen Argumenten autgepeppt. Mit dem Staat Italien sei kein Staat zu machen, heißt es. Denn dort herrsche überall Misswirtschaft und Korruption. Nichts wie weg also, im Namen des Volkes und im Namen des Wohlstandes. Es geht den Südtirolern besser, wenn sie unter sich sind. Das ist die Grundthese. Sie wird jetzt erschüttert. Denn die Südtiroler erleben jetzt, was geschieht, wenn sie wirklich unter sich sind: Sie versinken im Sumpf der Korruption.

Das Problem ist also die Fixierung auf den Feind. Dadurch sind die Südtiroler dem lrrglauben erlegen, dass sie besser seien, nur weil sie Südtiroler sind. Doch damit nicht genug. Dem Feind gegenüber ist alles erlaubt, jede List, jede Tücke, jeder Hinterhalt. Die Südtiroler Volkspartei hat sich gegenüber den Regierungen in Rom gnadenlos opportunistisch und gewissenlos verhalten. Warum sollte sie sich auch an Moral halten? Rom ist der Hort des Bösen. Egal, wer dort gerade an der Macht ist. Die Südtiroler Volkspartei stieg mit jedem ins Bett, wenn dabei nur etwas für sie heraussprang. Im Namen des eigenen Volkes verhielt sie sich absolut unmoralisch. Die SVP hat dieses Land bis aufs Mark verdorben. Das ist ihre historische Schuld.

Die Gefahr kommt nicht von außen, sondern von innen. Die Südtiroler sind die größten Feinde der Südtiroler, weil sie es verlernt haben, sich auf angemessene Weise mit der Welt zu verbinden. Sie verstehen sich nicht als Bürger dieser Welt, sondern als räuberische Piraten. Jeder Hafen ist ihnen willkommen, egal ob Rom, Wien oder Brüssel – solange er nur Beute verspricht.

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Eine Antwort auf ff 46/2012: Ulrich Ladurner – Südtiroler Normalisierung

  1. pérvasion sagt:

    Eine Antwort von Harald Knoflach auf Ulrich Ladurner: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=13238