Die 7 Toblacher Thesen 2012

Die 7 Toblacher Thesen
zu den Toblacher Gesprächen 2012: „Boden: Kampf um die letzte Ressource“

1. Der Boden – ein ökologisches Wunder.

Böden existieren in einer unendlichen Vielfalt und die Erhaltung und Steigerung ihrer Fruchtbarkeit muss die erste Priorität in unserem Verhältnis zum Boden sein.
Nur in einer gesunden und lebendigen Erde können Pflanzen, Tiere und Menschen ihre Wurzeln haben. Unter unseren Füßen befindet sich mehr Leben als auf dem Boden, drei bis viermal so viel. Es sind Lebensformen, die uns eher etwas fremd sind, Würmer und Milben, Bakterien und Pilze, die wundersame Biosysteme bilden, sich unterirdisch vernetzen, zum Teil in Symbiose miteinander lebend.

Die Bedrohung des Bodenlebens ist die Bedrohung des menschlichen Lebens auf dieser Erde.  

2. Der Boden – ein Kulturgut

In Europa ist der Boden seit tausenden von Jahren vom Menschen bearbeiteter Boden, sodass heute von einem natürlichen Zustand nicht mehr die Rede sein kann. Kein Baum steht zwischen Sizilien und den schwedischen Wäldern, der nicht vom Menschen gepflanzt worden ist oder – spontan gewachsen – vom Menschen an seinem Ort belassen worden ist. Die Sorge um den Boden kann sich deshalb nicht aus der Hoffnung nähren auf die Bewahrung oder Rückkehr zu irgendeiner „Wildnis“. Die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, die Erhaltung und Weiterentwicklung der Formen, die wir dem Boden in Jahrhunderten der Kultivierung gegeben haben, bedarf des Eingriffs, bedarf menschlichen Tuns. Die Frage ist, nach welchen Kriterien? Zum Beispiel:

  • Das Prinzip der Ko-Evolution zwischen dem Ort, seiner Bearbeitung und Gestaltung und den Menschen, die ihn bewohnen wiederbeleben.
  • Die Anerkennung und Stärkung der Besonderheit und Einmaligkeit jeder Region in der Ko-Evolution zwischen den natürlichen Bedingungen und seiner historischen Gestaltung – was an einem Ort wie Toblach unmittelbar evident ist.

3. Der Boden – ein Gemeingut

Es ist für uns eine falsche kulturelle Selbstverständlichkeit geworden, dass der Boden jemandem gehört. Eigentum an Grund und Boden entsteht erst im Übergang zum Ackerbau im Neolithikum, aber bis in die Neuzeit war die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens eingebunden in gemeinschaftliche Formen der Nutzung mit genauen Rechten und Pflichten und bis vor wenigen Jahrzehnten konnte Ackerland in Deutschland nur von Bauern gekauft werden.

Inzwischen sind Immobilien und der dazugehörige Boden, aber auch Boden allgemein allemal in Zeiten der Finanzkrise die Anlageform schlechthin.

Es gilt globale Boden-Gemeineigentumsrechte zu stärken, der Boden muss jene ernähren, die auf ihm leben und arbeiten.

Die Regeln einer globalen am Gemeinwohl orientierten Bodenpolitik dürfen nicht Empfehlungscharakter haben, sondern müssen verbindlich sein.

4. Die Feinde des lebendigen Bodens

Der Boden-Diskurs kann sich nicht im Lamento erschöpfen. Wir brauchen Klarheit: Was treibt den Bodenverbrauch an und wie können wir die unterschiedlichen Treiber der Entwicklung entschärfen?

Der lebendige Boden als Ort der Nahrungsmittelproduktion, die oberstes Ziel aller Bodenpolitik sein muss, hat viele Feinde: die Finanzwirtschaft, die Nahrungsmittelmultis, die grenzenlose Urbanisierung, die Finanznot der Gemeinden, die mit den Erschließungskosten Kasse machen, die großflächigen Raumnutzer in Handel, Gewerbe und Industrie, das kulturelle Leitbild des Hauses im Grünen, die Lebensmittelverschwendung auf allen Stufen (Produktion, Transport, Distribution, Konsum), die unmäßige Nahrungsaufnahme, die Energiewirtschaft, die Klimaspekulanten.

5. Eine Vielfalt von Boden-Strategien

Die Bedrohungen für den Boden sind unterschiedlicher Natur und entsprechend vielfältig müssen die Formen des Kampfes um die Erhaltung und Bereicherung des Bodens und des Lebens in ihm sein.

  • Gesetzliche Regelungen zur Einschränkung des Bodenverbrauchs. Der Expansion der Städte im Norden und der Megastädte im Süden Grenzen setzen
  • Erwerb von Ackerland nur durch Bauern
  • Organische Landwirtschaft
  • Wiederbesiedlung des Landes
  • Stopp dem Bodenverbrauch
  • Verdichtung im Bestand, Nachnutzung, Rückbau der Zersiedelung, Entsiedlung und Abriss
  • Durchmischung der Quartiere, „kurze Wege“
  • Multifunktionale Landschaftsparks im suburbanen Raum
  • Urban Gardening
  • Regionale Produkte
  • Rückführung von Boden in Gemeingut

6. Eine Vielfalt von Akteuren und Neue Bündnisse

Die wesentlichen Impulse für neue Formen des Umgangs mit dem Boden im Zuge einer ökologischen Konversion von Wirtschaft und Gesellschaft sind heute „von unten“ zu erwarten, von Biobauern und aufgeklärten Konsumenten, Slow Food, dem Verband mittelständischer Bauern in Deutschland, kommunitären Projekten, Transition Towns und Urban Gardening Movements, Städtenetzwerken wie dem Klima-Bündnis und Initiativen wie Terra Madre, Bürgerinitiativen, die sich der Zerstörung der Landschaft widersetzen und Gruppen, die die regionale Landwirtschaft stärken – von einer reichen Vielfalt antizipatorischer, dezentraler, naturnaher, gemeinwohlorientierter Formen, mit dem Boden umzugehen.

Wie sich diese Vielfalt von Bewegungen gegen ein mächtiges, skrupelarmes kapitalistisches Wirtschafts- und Finanzsystem gesellschaftlich durchsetzen wird, ist wesentlich eine Frage, inwieweit es den Akteuren gelingt, neue Bündnisse und Kooperationsformen zu finden und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Die Nutzungskonflikte zwischen dem Boden als Quelle unserer Nahrung und als Standort von Energiepflanzen, um nur ein Bespiel zu nennen, sind durch rationale Kommunikation lösbar.

7. BodenBildung

Von den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde herrscht ein verbreitetes Bewusstsein der Probleme um das Feuer, sprich der Energiefrage, der Bedrohung durch fehlendes sauberes Wasser für eine wachsende Zahl von Menschen und der Bedrohung der Gattung durch die wachsende Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre. Die Bedrohung des Bodens ist der Elefant im Raum, den niemand wahrnimmt. BodenBildung dient nicht nur der Sensibilisierung für eine dramatische Bedrohung, sondern schafft ein Bewusstsein der Einbettung in Kreisläufe. Der lebendige Kontakt mit der Erde bei der Landbestellung und dem Gartenbau, aber auch die kontemplative Erfahrung von Landschaft im Wandern und Schauen erdet uns, bindet uns ein in den
Kreislauf des Organischen, von dem wir Teil sind. „BodenBildung“ kann in diesem Sinne auch als nüchterne Suchbewegung verstanden werden, dem Boden unter unseren Füßen nachzuspüren, ohne mystisch oder romantisch abzudriften, in Anerkennung jener Grenzen, ohne die persönliche Verantwortung nicht gelebt werden kann.

Konzeption: Wolfgang Sachs und Karl-Ludwig Schibel
Toblach, den 30. September 2012

Blog: http://toblachconference.wordpress.com/

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