SEL AG, der große Schwindel

Neue Südtiroler Tageszeitung, 3. 10 .2012
von Christoph Franceschini

Die Vergabe der großen Stromkonzessionen war von Anfang an gesteuert. Vier Monate nach dem offiziellen Abgabetermin wurden die ursprünglichen Projekte der ,,SEL AG“ im Büro von Michl Laimer durch neue, überarbeitete Projektunterlagen ausgetauscht.Vorher flossen Inseiderinformationen der Konkurrenzprojekte an die SEL.

Michl Laimer kennt den Ernst der Lage. ,,Ich habe nie im Eigeninteresse gehandelt“, sagt der ehemalige Energielandesrat am Rande der gestrigen Landtagssitzung. Mehr will er im Hinblick auf den anstehenden Prozess und den Beginn der Hauptverhandlung am 15.Oktober nicht sagen. Auch innerhalb der ,,SEL AG ist man sich der Schwere der Anschuldigungen durchaus bewusst. SEL – Präsident Wolfram Sparer sagt nur:,,Ich möchte zum Gerichtsfall keinen Kommentar abgeben“.
Derzeit laufen die Ermittlungen, die eine Art Super -Gau für den Südtiroler Energiesektor, das Land Südtirol und die ,,SEL AG“ darstellen könnten. Man geht davon aus, dass der damalige Landesrat Michl Laimer und der damalige SEL -Generaldirektor Maximilian Rainer im Jahr 2006 bei der Vergabe geschwindelt haben. Anhand von Dokumenten, telematischen Spuren aber auch durch Zeugenaussagen lasse sich belegen, dass die ,,SEL AG“ nicht  nur Inseiderinformationen über die Konkurrenzprojekte aus dem Büro Laimer erhalten hat, sondern dass die Projekte der ,,SEL AG“ vier Monate nach dem offiziellen Abgabetermin überarbeitet und dann ausgetauscht wurden.

Würde dieser schwere Vorwurf vor Gericht bewiesen, wären die Folgen ein Erdbeben für Südtirols Energiewirtschaft. Die ,,SEL AG“ und damit ihre beiden Töchter ,,SE Hydropower“ und ,,Hydros“ könnten ein Dutzend Großkraftwerkskonzessionen im Nachhinein wieder verlieren.

Die Geschichte beginnt vor fast genau sieben Jahren. Nach dem Gesetz müssen bei der Vergabe von Großwasserkonzessionen die Ansuchen fünf Jahre vor deren Auslaufen abgelegt werden. Die Großwasserkonzessionen verfielen Ende 2010, damit war der Stichtag für die Abgabe der 31. Dezember 2005. Weil dieser Tag aber ein Samstag war, wurde die offizielle Abgabe auf Freitag, den 30. Dezember 2005, vorverlegt. Für jede der 14 Großwasserkonzessionen wurden dabei termingerecht über ein halbes Dutzend Ansuchen und Projekte beim Amt für Stromversorgung abgegeben. Über 100 Projekte lagen damit beim zuständigen Amt, bis 2007 das eigentliche Genehmigungsverfahren losging. Nur ein Wettbewerbsteilnehmer wählte einen anderen, eigenen Weg.

Die ,,SEL AG“ deponierte ihre Ansuchen und Projektunterlagen am 30. Dezember im Büro von Landesrat Michl Laimer. Weil diese Vorgangsweise selbst den zuständigen Landesbeamten suspekt vorkam und man sich vor unliebsamen Überraschungen absichern wolle, verfasste das Amt für Stromversorgung zu dieser Vorgangsweise im Frühsommer einen Aktenvermerk. In dem von Amtsdirektor Hans Unterholzner und den beiden Amtsmitarbeitern Luca Corona und Annelies Psenner unterzeichneten Schreiben heißt es:

,,Die Ansuchen, Projektunterlagen und Umweltpläne für die Erneuerungsverfahren der bestehenden großen Wasserableitungen zwecks Stromerzeugung (…) sind von der SEL AG“ in Anwesenheit des Amtsdirektors des Amtes für Stromerzeugung im ehemaligen Büro des Landesrates in der Cesare -Battisti -Straße Nr. 21 eingereicht worden. Laut Protokollvermerk des Sekretariats des Landesrates sind diese Unterlagen rechtzeitig eingereicht worden. Die Projektunterlagen und die Umweltpläne sind hingegen aus Sicherheitsgründen im Büro des Landesrates aufbewahrt worden. Die Übergabe der Projektunterlagen an das Amt für Stromversorgung ist erst bei Übersiedelung des Landesrates in die Räumlichkeiten in der Rittner Straße zwischen April und Mai 2006 erfolgt.“

Dieser Aktenvermerk wurde 2010 im Laufe der Ermittlungen zum Kraftwerk St.Anton von der Bozner Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Als die Tageszeitung (TZ 237/10) damals Landesrat Michl Laimer mit der Frage konfrontierte, wer dafür garantiere, dass die Unterlagen der SEL AG im Büro des Landesrates fünf Monate lang unangetstet wirklich liegengeblieben seien, reagierte der Landesrat ungehalten: ,,Allein diese Frage ist eine unhaltbare Unterstellung und Beleidigung.“ Inzwischen scheint klar, dass diese Frage keine Unterstellung war, sondern dass die Wirklichkeit noch weit schlimmer ist.

Im Frühsommer 2012 verlangte die Verteidigung von Michl Laimer im Verfahren um das Kraftwerk von ,, St.Anton“ die Beschlagnahme des gesamten E-Mail- Verkehrs beim Amt für Stromversorgung. Die rund 50.000 Dokumente wurden auch den Nebenklägern zur Verfügung gestellt. Hellmuth Frasnellis Verteidigungsteam hat zusammen mit EDV- Experten die Dateien analysiert und sie vor allem mit jenen verglichen, die in der ,,SEL AG“ und auf dem Computer von Maximilian Rainer beschlagnahmt wurden. Dabei haben die Experten der Carabinierisondereinheit ROS auch jene Dateien wieder hergestellt, die von Rainer & Co gelöscht worden waren.

Das Ergebnis des Vergleichs ist eine telematische Spur, mit der sich die unrechtmäßige Operation, die zwischen Michl Laimer und Maximilian Rainer im Frühjahr 2006 gelaufen ist, rekonstruieren lassen dürfte. Weil die Zeit drängte, haben die Techniker der ,,SEL AG“ Ende 2005 fast bis zur letzten Minute gearbeitet. Aus den Unterlagen geht hervor, dass alle Umweltpläne für die Kratwerks-Ansuchen in der Nacht des Abgabetages am SEL-Sitz das letzte Mal abgespeichert und ausgedruckt wurden. Der Umweltplan für das Kraftwerk St. Anton zum Beispiel wurde am 30.Dezember 2005 um 6.31 Uhr in der SEL das letzte Mal abgespeichert und ausgedruckt.
Es ist einer von 14 Umweltplänen, die mitsamt den technischen Projekten am selben Tag im Büro von Michl Laimer abgegeben wurden. Das Problem aber: Der Umweltplan St.Anton, der fast fünf Monate später im Büro Laimer an das Amt für Stromversorgung übergeben wird, ist nicht mehr derselbe. Ein genauer Vergleich ergibt, dass der am 30.Dezember 2005 abgegebene Umweltplan für St.Anton 85 Seiten hat, jener der zur Bewerbung Mitte Mai 2006 im Amt eintrifft, 206 Seiten. Das sind 121 Seiten mehr. Doch St.Anton ist kein Einzelfall, sondern System. Die Nebenkläger haben sich aber die Mühe gemacht, alle Umweltpläner der SEL – Projekte zu vergleichen. Dabei kommt eindeutig heraus, dass alle Pläne nach dem offiziellen Abgabetermin noch entscheidend verändert wurden. Am Ende sind die Pläne also doppelt so umfangreich. Insgesamt sind es 941 Seiten, die in den SEL-Projekten geändert und hinzugefügt wurden. Dass man diese Seiten am Vormittag des 30. Dezember 2005 noch schnell geschrieben hätte, ist menschenunmöglich. Abgespeichert und ausgedruckt wurden die neuen, geänderten Umweltpläne dann auch in der ,,SEL AG“ zwischen März und April 2006. Das kann man in den Dateien nachvollziehen. Genau das kann aber nicht sein, wenn der Abgabetermin der 30. Dezember 2005 gewesen ist. Auch andere Eigenschaften der Projekte weisen eindeutig in Richtung Manipulation.

Die Änderungen, beschränken sich dabei keineswegs auf eine bessere sprachliche Ausschmückung der Pläne, sondern es sind inhaltliche Korrekturen, die letztlich auch wettbewerbsentscheidend waren. So stand ursprünglich im SEL-Umweltplan von St.Anton ein ,,flexibles Budget“ für die Umweltmaßnahmen: 5,55 Prozent des Jahresumsatzes. Im endgültigen Umweltplan, der im Mai 2006 dem Amt für Stromversorgung vorgelegt und auch bewertet wurde, steht aber die Zahl von 49 Millionen Euro. Ähnliche Änderungen gab es bei den SEL-Projekten.

Anfang August 2012 machten Hellmuth Frasnelli und seine Anwälte eine detaillierte Eingabe bei der Oberstaatsanwalt Guido Rispoli. Die Nebenkläger gehen davon aus, dass Michl Laimer die entscheidenen Informationen aus den Konkurrenzprojekten an Maximilian Rainer weitergegeben hat und die SEL daraufhin ihre Projekte entsprechend modifiziert habe. Auch dafür finden sich im beschlagnahmten Mailverkehr klare Hinweise. Zwischen Mitte Februar und Mitte April 2006 forderte Michl Laimer bei Amtsdirektor Hans Unterholzner mehrmals insistent ,, eine Auflistung der eingereichten Projekte mit der Kurzbeschreibung und den wesentlichen Elementen des Umweltplanes“ an. Kurz vor Ostern 2006 übermittelte Amtsdirektor Hans Unterholzner dann endlich die gewünschten Dateien. ,,Nur für den internen Gebrauch“, mahnt Unterholzner seinen Landesrat vielsagend im Begleitschreiben. Wenig später – das lässt sich anhand der Dateien nachvollziehen – wurden die SEL-Projekte entscheidend geändert.

Seit zwei Monaten laufen die Ermittlungen zu diesem neuen Sachverhalt. In der Staatsanwaltschaft und bei den Ermittlern herrscht strengtes Stillschweigen. Man weiß, wie brisant die Sache ist. Nach Informationen der Tageszeitung wurden in den vergangenen Wochen in der Landesverwaltung, in und außerhalb der ,,SEL AG“ rund ein Dutzend Techniker, Sachbearbeiter, Sekretärinnen und Ausgeher verhört. Dabei sollen sich die Verdachtsmomente erhärtet haben.

 

Gescantes Deckblatt – Die Spuren der Manipulation sind mehr als deutlich

Die Projekte wurden zuerst in Papierform übermittelt. Dann Mitte Mai forderte das Amt für Stromversorgung bei allen Wettbewerbstweilnehmern die gesammelten Unterlagen auch telematisch an. Man musste die Projekte den Gemeinden und den zuständigen Landesämtern vorlegen. Die ,,SEL AG“ übermittelte am 19. Mai 2006 den Gesamtplan für das Kraftwerk St. Anton. Es handelt sich um ein PDF-Dokument. Gemacht aus einem Word-Dokument. Nur eine Seite ist anders. Das Deckblatt des Dokuments ist ein Scan, der in das PDF eingefügt wurde.
Der Grund dafür: An den SEL-Projekten haben auch 5 externe technische Büros mitgearbeitet. Sie haben, wie es vorgeschrieben ist, auf dem Deckblatt des Projektes, das am 30. Dezember 2005 abgegeben wurde, allesamt ihre Stempel angebracht. Weil die ,,SEL AG“ aber im Nachhinein den Gesamtplan überarbeitet, neu ausgedruckt und ausgetauscht hat, hätten auch die Stempel auf dem modifizierten Dokument neu angebracht werde müssen. das hätte den Kreis der Mitwisser deutlich erweitert. Deshalb der Scan und die Collage?

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Eine Antwort auf SEL AG, der große Schwindel

  1. forum sagt:

    Wer hätte je gedacht, dass die großen ,,alten Volksparteien“ so verfilzt und untransparent handeln. Unabhängig vom Ausgang der ermittelenden Staatsanwaltschaft muss aber auch ein Untersuchungsausschuss im Südtiroler Landtag eingesetzt werden.
    Michl Burger