ff 37/2012: Interview mit Bruno Kaufmann – „Perversion der Idee Demokratie“

ff Südtiroler Wochenmagazin Nr. 37/13.09.2012

Direkte Demokratie: (aa) Bruno Kaufmann ist Präsident des „Initiative & Referendum Institute Europe“ in Marburg. Vergangene Woche war der Schweizer auf Einladung der „Initiative für mehr Demokratie“ in Bozen.

ff: Herr Kaufmann, regieren die Politiker am Volk vorbei?

Bruno Kaufmann: Nein. Volk und Politiker sind keine feste Masse und die Politiker keine Marsmenschen. Durch das Politiker-Sein entstehen allerdings Seilschaften, die Gräben zum Volk werden größer. Die Frage ist: Wie kann man diese Unterschiede beheben und Brücken bauen?

Und: Wie soll das gehen?
Die Demokratie als Idee ist heute unumstritten. Aber im Alltag haben die allermeisten Menschen das Gefühl, nicht in einer wirklichen Demokratie zu leben. Weil die Politik ständig versucht, Demokratie-Unübliches einzuführen.

Ist das Thema der Direkten Demokratie in Krisenzeiten ein Luxusthema?
Nein. Im Gegenteil. In vielen Orten wird Direkte Demokratie leider immer noch als Reaktion auf eine Krise verstanden und nicht so sehr als Verwirklichung einer selbstverständlichen Idee. Es geht um die Möglichkeit, sich einschalten zu können, wenn man das Gefühl hat, es sei notwendig. Darum geht es, das ist Demokratie.

Wieso tun sich so viele schwer mit diesem Thema?
Weil sie das Gefühl haben, man besitzt etwas, das einem jemand wegnehmen will. Demokratie ist Machtteilung und nicht Machtbesitz oder -ausübung. Machtteilung geschieht selten freiwillig.

Macht es die Schweiz wirklich besser als der Rest der Welt?
Besser nicht, aber es würde sich auch kaum jemand finden, der sich für das Aufgeben dieser demokratischen Errungenschaft aussprechen würde. In der Schweiz wird die Direkte Demokratie als extrem wichtiger Teil einer harmonischen Gesellschaft verstanden. Man kann dort sicher nicht so viel befehlen wie in anderen Ländern. Das schätzen die Bürger sehr.

Gibt sie dem Volk die wahre Macht?
Nein. Aber die Schweizer haben sicher etwas mehr Macht als andere Völker.

Kann man die direkte Demokratie in ein Volk einpflanzen?
Nein, schon gar nicht von außen. Aber man kann dafür arbeiten, es geht um den Dialog zwischen den Menschen.

Ein bisschen direkte Demokratie geht nicht?
Man darf sie nicht einsperren wie einen kleinen Vogel. So kann sich nichts entfalten, es braucht Offenheit.

Was sagen Sie zum direktdemokratischen Südtirol?
Die Regierenden merken, sie müssen sich proaktiv damit auseinandersetzen. Der Gesetzesvorschlag ist in einzelnen Punkten durchaus positiv zu bewerten, etwa, dass man das unsägliche Quorum abschaffen will. Umgekehrt baut man zig neue Sperren ein, die das Ganze von oben kontrollieren sollen. In einer direkten Demokratie aber sollte das Volk kontrollieren, alles andere ist eine Perversion der Idee der Demokratie.

Haben Sie einen Tipp für Südtirols Politiker?
Diese müssen sich fragen, wer der Chef ist. Und das sind nicht sie, sondern die Bürger. Von Vorteil ist, wenn man nicht Vollzeitpolitiker ist, sondern sich auch noch mit anderen Bereichen des Lebens beschäftigt. Wenn eine Partei über Jahrzehnte regiert, verliert sie die Bodenhaftung. Ein frisches, innovatives und freies Denken ist da mühsam.

Friedrich der Große sagte seinerzeit: „Das Volk sagt, was es möchte, und dann tue ich, was ich möchte.“
Das ist auch die Idee des Fürsten von Liechtenstein, er spricht von einem Nebeneinander von Monarchie und Demokratie. Das spricht man hier bei euch vielleicht nur nicht so deutlich aus. Viele Demokratien sind leider immer noch stark monarchisch geprägt.

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